Tatsächlich habe ich es schon eine ganz Weile anrollen gespürt. Also: seit 3 Jahren. 3 Jahre Anspannung, Ängste, Krisen, Krisen, Krisen und die fettesten Herausforderungen, denen man sich heutzutage noch stellen kann. Ich weiß auch, wo meine Grenzen liegen. Ich konnte sie bis vor 3 Jahren auch geradeso schützen. Heute muss ich mal wieder einsehen: Ich hab mit meiner Selbstliebe mal wieder versagt. Ein anderes Wort fällt mir nicht ein. Die Nerven, sie sind zusammengebrochen.
Andererseits: das hätte niemals gut gehen können! Ich bin so ein Spring-Tier. Wenn irgendwo was fehlt, dann springe ich. Wie sollte ich also nicht springen, wenn die Familie was braucht? Ich finde das keine sympathische Eigenschaft! Ich finde Selbstlosigkeit Wahnsinn! Perfektionismus grenzt an Pathologie! Und trotzdem wirken in mir drin diese alten Mythen und Märchen in denen ich mich seit meiner frühesten Kindheit verortet habe um mir Lösungswege zu eröffnen. Diese tiefe Verzweiflung ist ganz eng gebunden an meine Geschichte. Sie begleitet mich schon so lange…es ist auch ok. Sie gehört zu meinem Leben, ist Teil des Erbes. Ich habe sie ja verstehen gelernt. Dieses kleine Mädchen bin immernoch ich. Auch wenn ich als Erwachsene einen Schritt neben sie treten kann…wenn alles zu dicht und zu schnell verläuft, mache ich diesen Schritt nicht mehr. Dann benutze ich meine älteste archaische Navigation. Die ist stabil und sicher. Nur hat sie die Nebenwirkung, dass ich mich aus den Augen verliere.
Dabei bemühe ich mich die ganze Zeit so redlich um mich selbst. Ich bitte um Hilfe, ich melde an, was mir fehlt, was ich brauche. Aber in all dem Alltag mit seiner Dichte und Geschwindigkeit kriege ich keinen Fuß in die Tür. Ich lasse meine Bedürfnisse nach und nach los, weil es so viel Kraft kostet, sie zu erfüllen. Ich hasse Resignation! Aber ich bin da hinein geraten…ICH! Mein Ich ist da reingerutscht…irgendwo müssen die Kratzspuren meiner Fingernägel noch zu sehen sein…ich hab mich so sehr gewehrt.
Aber heute ging nichts mehr.
Gar nichts.
Tränen.
Ein Elend.
Beide Kinder neben mir…ich habe sie gesehen und habe sie nicht gesehen und ich habe mich so sehr geschämt…so schrecklich sehr…ich weiß nicht, ob das jemand nachfühlen kann, wie bedrückend diese Scham sein kann. Meine beiden wundervollen Söhne…erschrocken und traurig, weil die Mama nicht mehr funktioniert…ich hab sie mit letzter Kraft die Treppe in den 3ten Stock hochgewuchtet. Ich habe ganz leise gesprochen. Immer leiser…und dann konnte ich nicht mehr…ich hatte schon heute Mittag um Hilfe gebeten. Papasch möge irgendwen auftreiben, damit ich nicht allein bin mit den Jungs…er konnte nicht/hat nicht/was auch immer. Ich war allein. Meine Eltern sitzen im Flieger nach Namibia. Mein Bruder hört sein Handy nicht. Die Wunsch-Babysitterin arbeitet. Die Wunsch-Mama besucht den verunfallten Mann im Krankenhaus. Die andere Mama arbeitet…worst case und keine Reißleine…
Die Trinkbecher in Reichweite fabriziert. Kekse auf den Boden gelegt. No more move. Nur noch Tränen. Heiße Scham. Ameisen am ganzen Körper…ein Gefühl von Verwundung, Aufgerieben sein…bitte nicht anfassen…und natürlich müssen die beiden Kleinen mich anfassen. Was sollen sie auch sonst tun? Sie weichen nicht von meiner Seite. Wollen auf mich drauf klettern, Finger in meinen Mund stecken und ich habe das Gefühl, als würde ich aufgerissen. Ich möchte schreien…
Und dann schrei ich tatsächlich..und schäme mich noch viel mehr…ich möchte alles wieder gut machen und kann es nicht mehr…ich schicke hilflose Nachrichten an Papasch…er kommt nicht…er schreibt, er kann nicht und dass er glaubt, dass ich das schaffe.
DAS ist mein Problem.
Dass alle glauben, dass ich das schon schaffe. Ich kann wüten und weinen wie ich will. Mir glaubt niemand, wie erschöpft ich bin! Mir hat schon früher niemand geglaubt, dass ich krank bin! Meine Migräne wurde Jahre lang nicht ernst genommen. Ich sah einfach nie so scheiße aus, wie ich mich gefühlt habe. Und wenn ich dann wild um mich schlage, denken die Leute eigentlich eher: Hysterie anstatt Verzweiflung.
Wie, verdammte Scheiße, kann das sein? Warum, gequirlte Kacke, werden Gefühle in dieser lächerlichen Gesellschaft nach wie vor eher in den Bereich der weiblichen Fantasie verräumt, anstatt endlich zu erkennen, dass wir in all dieser Ratio, diesem Leistungsdruck, diesem Kapitalismusmüll, diesem höher-schneller-weiter-Gejohle nicht leben KÖNNEN!
Ich kenne meine Sehnsüchte! Sie sind wichtig! Wegweiser! Helfer! Ich kenne meinen Weg! Ich war schon auf ihm unterwegs! Aber dieser Weg ist nicht Mehrheitskonform! Er ist gesellschaftlich nicht gewollt. Würde ich aussteigen, wäre das was anderes. Aber das will ich nicht! Ich will kein Yoga-Ayurveda-Bio-Retreat auf Ibiza aufmachen! Ich will HIER Stille finden!
Ich will hier Räume der Ruhe finden und Räume der Lebendigkeit! Ich will hier Pausen haben! Ich will meinen Kindern beibringen, dass Müdigkeit bedeutet, dass der Körper sich nach Schwerelosigkeit sehnt und dass Schlaf etwas ganz und gar wunderbares ist. Ich möchte, dass sie ihre Grenzen ertasten, erfahren und nur dann erweitern, wenn es ihnen selbst etwas bringt. Ich möchte, dass sie sich zuhause fühlen in sich selbst, ihren Sehnsüchten und ihrem Alltag. Sie sollen Stress als solchen erkennen und ihn markieren können, um die Möglichkeit zu bekommen, einen anderen Weg zu wählen.
Ich habe Papasch in meiner Verzweiflung geschrieben: Ich bin nicht Wonderwoman, kein Perpetuum Mobile und keine geheime Energiequelle. Ich sollte mir das selbst an die Wand pinseln und auf die Stirn tätowieren. Gleich neben meine Energie-Auftankstellen, eine Ladestandsanzeige und einem geheimen Fach für Schokolade.
Die Jungs schlafen jetzt. Ich hoffe sehr, dass sie eine ruhige Nacht haben können und bezweifle es zugleich. Sie standen mit mir am Abgrund wie zwei kleine Pfeiler. Ein Job, der eigentlich Papasch gehört hätte. Aber sie waren da…wenn ich jetzt beschreibe, wie mein Großer Sohn aus irgendeiner Küchenschublade den Rosenquarz von anno dazumal rausgekramt und mir auf die Wange gelegt hat „zum kühlen, Mama“, steh ich wieder ratlos vor diesem Universum. Wir sind ein Team. Mein Sohn hat das verstanden. Ich hoffe sehr, dass sein Herz heute Nacht weiß, dass seine Mama nicht weg ist. Dass sie nur ihren Kompass gehörig schütteln muss.
Liebe LeserInnen, ich schreibe dies nicht, weil ich Exhibitionistin bin. Ich schreibe dies, weil ich am heftigsten die Scham empfunden habe. Und weil ich denke, dass diese Scham verhindern könnte, darüber zu sprechen. Dabei bin ich mir auch sicher, dass ich nicht allein bin mit solchen Situationen! Sie finden nur geheim statt! Sie sind schrecklich! Und die Scham deckt sie zu! Ich möchte, dass ihr wisst, dass ich weiß, dass mir da kein folgenschwerer Fehler unterlaufen ist, sondern, dass mein Körper eine Vollbremsung hingelegt hat! Und ich möchte, dass die Frauen, die sich in diesen Bildern wiederfinden, sich selbst in den Arm nehmen! Sie sollen sich am nächsten Tag eine Freude machen! Etwas wirklich schönes! Sei es eine Handtasche, die Lieblingsschokolade, Babysitter buchen für einen Kindoabend, das größte Eis der Stadt oder das Absagen von etwas durch und durch stressigem! Tut das! Für Euch!
Nein, dies war nicht der schwärzeste Tag meines Lebens. Aber ich hab jetzt einen kleinen Text auf dem Handy von Papasch, in dem er schreibt, dass wir etwas umstrukturieren müssen. Das nährt Hoffnung.
Liefs,
Minusch
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