ich habe mit meiner Mutter-re-werdung angefangen, mich hier mit meinen Ängsten, Sorgen und Herausforderungen auseinanderzusetzen. ich habe auf andere Blog-Artikel reagiert, bin in Diskussionen eingestiegen, habe geblockt, wurde geblockt und ich habe immer wieder gut überlegt, welches Thema ich warum hier bearbeite und welches ich außen vor lasse. ich versuche grundsätzlich, erweiterte Perspektiven zu finden zu vermeintlich eindeutigen Argumentationsketten, weil ich einfach weiß, dass es „die eine wirklich richtige Lösung“ niemals geben wird und weil mich wütend macht, wenn Marketing-Strategien unser Leben dahingehend beeinflussen, dass wir uns unserer Entscheidungen nicht mehr sicher sind oder wir uns sogar schämen für etwas, was wir aus dem Bauch heraus für richtig hielten.
diese Dauerverunsicherung, die wir dank permanenter multimedialer Konfrontation erfahren, mache ich mit verantwortlich für den Rechtsruck in unserem Land, der auf so vielen Ebenen stattfindet, dass ich kotzen möchte. ich kann nicht alle Themenbereiche aufnehmen, weil ich keine 24/7-Bloggerin bin, aber ich möchte hier etwas aufschreiben, was vielleicht der einen oder anderen Frau hilft, sich mit dem Gedanken der Kinderbetreuung via Hort/Krabbelgruppe/Kindergarten wieder auszusöhnen, denn:
es gibt eine wachsende Bewegung, die erklärt, dass das Beste für ein Kind ausschließlich die ausschließliche Betreuung durch die eigene Mutter ist.
gegen diese These spricht eine Menge. vor allem eine Menge mehr als das, was bisher in den Medien aufgetaucht ist. wir brauchen nicht bei den Naturvölkern nachgucken, wie die das wuppen (a village to raise a Child?…na?…alles nur eigene Mütter? haha). wir müssen auch nicht bei den Reisbäuerinnen in China nachsehen, die sich (vielleicht) ihre Kinder auf den Rücken binden während der schweren Arbeit im Feld (haha, und das Kind in der Sonne? witzig). nee, wir können ganz bei uns und unserer Realität bleiben.
1.) Scheidungsquote etwa 50%. das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Du als Mama den Weg in den Superfamilienhimmel schaffst, nur bei 50% liegt. das ist nicht pessimistisch und das hängt auch nicht an Deinem Problemlösungstalent. es ist eher eine Melange aus Glück und Ressourcen.
wenn wir also wissen, dass es sein kann, dass unsere Familienidee scheitert, dann müssen wir einkalkulieren, dass es Streit gibt. und das dieser Streit Auswirkungen hat. dass wir darunter leiden werden und mit uns unsere Kinder.
ich war dankbar, einen Kindergarten an meiner Seite zu haben während der Trennung. nicht, weil ich dadurch so irre viel freie Zeit gefunden hätte. nein. weil ich wusste, dass diese Menschen meinem Kind andere Wege zur Verarbeitung des Alltags anbieten können. andere Beziehungen zu anderen Menschen bieten dem eigenen Kind andere Möglichkeiten. ja, ich musste den Menschen dort vertrauen. und ich habe den Kindern versichert, dass sie wirklich alles dort erzählen können, was ihnen in den Sinn kommt. und dann habe ich mit den Erzieher*innen über das Erzählte gesprochen und so hatte ich auf einen Schlag 6 erwachsene Menschen, die mich darin unterstützt haben, meine Kinder so gut wie möglich zu begleiten.
wie wäre das zuhause? allein? was würde dann passieren?
2.) Gewalterfahrungen kommen in allen Schichten vor. auch Gewalt gegenüber dem Kind. dieses Thema ist beschissen und deprimierend aber nach wie vor real. es gibt da auch keine Rückläufigkeit. erwachsene Menschen tun so etwas. und danach behaupten sie, es wäre nie passiert.
was, wenn Du in diesen Kreislauf gerätst? aktiv oder passiv? ja, klar, wir lieben unsere Kinder alle. wir wollen das Beste. immer. aber ist das Beste eine apathische Mama zuhause, die mit ihren Kindern das Haus nicht mehr verlässt, weil er neben die Sonnenbrillenzone geschlagen hat? oder wollen wir, dass die Misshandlung an einem Kind nicht erkannt wird, weil es eben nur zuhause und unter kontrollierten Bedingungen existiert?
ich behaupte nicht, dass Menschen, die ihre Kinder ausschließlich selbst betreuen, eine höhere Wahrscheinlichkeit zur Gewalt tragen. aber geringer ist sie auch nicht. Wahrscheinlichkeit. was ist das Beste für das Kind?
3.) Gruppenzugehörigkeit bedeutet Menschen etwas. das Gefühl, sich für eine Gruppe zu entscheiden und dazu zugehören, ist etwas ganz besonderes. ja, es gibt Kinder, die von Anfang an Einzelgänger*innen sind. die brauchen auch ihren Raum. und eventuell wäre es für diese Kinder besser, sich nicht zu früh in einer Gruppe ausprobieren zu müssen (nur zieht in den veröffentlichten Argumentationen bisher niemand diesen Superjoker). viele Kinder brauchen den Kontakt zu anderen Kindern und die Freiheit, im Rahmen dieses Kontaktes zu experimentieren. das bedeutet, dass Grenzen auch gegenüber den anderen Kindern ausgetestet werden müssen. dass es den Raum geben muss, auch Dinge zu tun, die gesellschaftlich nicht gewollt sind: schlagen, festhalten, fesseln, anfassen, ausziehen, ablecken, am Penis ziehen, verfolgen, nachmachen…und ich zähl hier nur die Dinge auf, über die ich schon mit Kindern geredet habe, um zu erklären, warum das besser nicht mehr einfach gemacht werden sollte oder warum das einen anderen stören kann.
Kinder, die in festgelegten Strukturen aufwachsen, lernen nur ihr Spektrum in den festgelegten Strukturen kennen. das ist bestimmt nicht gefährlich. nur eben auch nicht besser.
4.) mein Lieblingsargument gegen all diese Gruppen ist die Frage der ressourcenarmen Umsetzung. wenn ich arbeiten gehen muss, weil mir schlicht keine erweiterten Ressourcen zur Verfügung stehen, dann brauche ich eine Betreuung, weil, entgegen der familienfreundlichen Argumentation, die meisten Jobs eben nicht mit Kind auf dem Schoß gemacht werden können. ja, klar die Journalist*innen und Autor*innen mit den Babys auf dem Spielteppich neben dem Laptop geben ein total liebevolles Bild ab. aber ich bin beispielsweise Sozialpädagogin und unterliege der Schweigepflicht. die würde auch ein Kind brechen.
mein Kind komplett alleine groß zu ziehen und dann noch eine Schule zu finanzieren, die „mehr“ bietet als die Regelschule, wird mir nie gegeben sein. und mich stört es auch nicht, denn ich habe schon lange beschlossen, dass meine Kinder in der Wirklichkeit groß werden sollen und nicht im elitären Kreis einer Gruppe, die für sich reklamiert, es besser zu machen als alle anderen (btw: an Waldorfschulen gibt es eine Kriminalitätsrate, die bemerkenswert ist).
5.) die für mich derzeit wichtigsten Menschen sind übrigens die Eltern der Freund*innen meiner Kinder. das sind die Menschen, die mich entlasten können. die ich anfragen kann, wenn ich ein Betreuungsproblem habe. als ich wieder Mutter wurde, war ich alleine. klar, im Internet viele Bezugspersonen, aber wenn meine Kinder die alle nicht kennen, bleiben die mit all diesen Menschen keine 5min allein in einer Wohnung. die Eltern der Freund*innen hingegen sind meinen Kindern bekannt. sie sehen sie jeden Tag. die Kinder erzählen einander von zuhause.
Menschen, die ohne starkes und engagiertes soziales Netzwerk in die Elternschaft hineinfallen, haben auf diesem Weg eine realistische Chance, sich selbst und den eigenen Kindern zu helfen. und eben auch den anderen Familien, von denen nur so mitbekommen werden kann, dass jemand krank ist oder länger allein oder in Schwierigkeiten.
<<diese Komponenten werden von der Debatte um "Fremdbetreuung" komplett ignoriert. die Träger*innen dieses Ideals verkaufen eine romantische Nostalgie als realistische Alternative zu dem, was wir schon haben und triggern damit Unsicherheit an bei den Menschen, die anderen Sicherheit geben wollen. in meinen Augen sind all diese Debatten teil eines Systems, das eben nicht versucht, Eltern zu stärken, auch wenn es behauptet, genau das zu tun. eine Theorie, die realistisch nicht umsetzbar ist, die Isolation zu wahrscheinlichen Folge hat, ist nicht geeignet, um Familien zu unterstützen.
keine Frage: liebevoll auf die eigenen Kinder einzugehen, ist unabdingbar. aber ebenso fraglos ist, dass Eltern keine gelddruckenden, lächelnden Kuschelandroid*innen sind. wir alle leben in einer Welt mit anderen Menschen und sind (auch dadurch) begrenzt. ebenso sind auch Erzieher*innen in Kindergärten in ihrem Leistungsspektrum begrenzt. es braucht Zusammenarbeit, offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Verständnis für einander. die Bereitschaft, die eigenen Erwartungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu kommunizieren. und es gibt auch immer und grundsätzlich die Möglichkeit, nicht mit einer Forderung auf die andere Seite zuzugehen sondern mit einer Bitte um Hilfe.
ja, ich weiß, dass es pädagogische Einrichtungen gibt, die versagen. aber das sind nicht die meisten! ja, ich weiß, dass es Kinder gibt, die mehr Ruhe brauchen, und für die dieses System mehr Probleme bereitet as für andere. das sieht genauso aus bei Kindern mit spezifischen Bedürfnissen. dementsprechend macht es ja auch viel mehr Sinn, in diese Strukturen zu investieren: in Fortbildungen, Ausstattung, Verpflegung und personelle Stärke. von all dem profitieren unsere Kinder. damit wir Eltern eben NICHT die einzigen sind, die sich um unsere Kinder kümmern können. damit wir Eltern die Möglichkeit haben, unsere Familien abzusichern. damit wir Mütter uns eine eigene Sicherheit aufbauen können, unabhängig von einem Partner. damit wir der Einsamkeit etwas entgegensetzen können.
Kinderbetreuung ist keine Schnapsidee. Kinderbetreuung ist die Konsequenz aus den Bedürfnissen und Notwendigkeiten erwachsener Menschen. und: niemand wird zur Kinderbetreuung genötigt. wer sich nicht anmeldet, hat keinen Platz. ganz einfach. so zu tun, als gäbe es einen gesellschaftlichen Druck, seine Kinder abzugeben, verzerrt die Realität. tatsächlich spielen bei dem Druck hauptsächlich wirtschaftliche Gründe eine Rolle und die Hebel für diese Gründe liegen ganz woanders.
btw: ich wurde noch nie (!) schief angeguckt, weil meine Kinder in der Betreuung waren, seit sie 1,5 Jahre alt waren. ich wurde noch nie schief angeguckt, weil ich arbeite. vielleicht fragen sich die vielen schief angeguckten Menschen mal, woher sie dieses Gefühl tatsächlich haben. aus der Brigitte? einer Zeitschrift, die gleichzeitig schreibt "finde Dich schön, so wie Du bist" und "nimm 10 kg ab mit der neuen koch-komplizierter-Diät"? und wenn jemand uns dann doch so schief anguckt, warum gucken wir nicht schief zurück und fragen nach, wie ein anderer Mensch dazu kommt, unsere Entscheidungen zu bewerten? Marketing muss hinterfragt werden! und immer, wenn Menschen an einer bestimmten Denkrichtung Geld verdienen, lohnt es sich, skeptisch zu sein.
Liefs,
Minusch
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