oh es gibt so viele verschiedene Mütterlichkeiten auf dieser Welt. es gibt vererbbare, die sich wie rote Fäden durch Generationen von Müttern ziehen, sowohl Schöne wie Schädigende. es gibt fragmentarische Mütter, bereuende Mütter, Mütter, die sich selbst nicht sehen oder mögen und welche die sich in allem finden, was sie umgibt. Mütter mit Ressourcen, Mütter mit Defiziten und Mütter mit und ohne Freiheit.
am besten spreche ich für mich und mein Muttern. weil ich meine Prozesse am besten beschreiben kann. nicht, weil ich die beste bin.
auf Mutter-sein hatte ich schon als Kind Bock. ich wollte zwar auch die Welt erkunden und in den Weltraum fliegen und in einer Grotte mit geheimnisvoller Beleuchtung leben und mit Tieren sprechen, aber eben auch Mutter sein. hatte ich ein Vorbild? ich weiß nicht recht…die Mütter von Freundinnen habe ich nur beim Mama-Taxi spielen oder beim Keks-Teller-reinbringen erlebt. manche haben mehr Süßigkeiten erlaubt, die anderen weniger. keine hat viel Fernsehen erlaubt. die einen haben ihren Kindern viele tolle Klamotten gekauft, die anderen eher nicht. Angst vor ihren Müttern hatten die anderen eher nicht, das hat mir gefallen.
ich wollte auch eine Mutter sein, vor der die Kinder keine Angst haben.
ich wollte auch Schlaflieder singen, das hatte ich im Fernsehen gesehen. ab dem Zeitpunkt habe ich Disney-Soundtracks gesammelt und auswendig gelernt, damit ich sie später vorsingen kann. Hauptsache singen.
diese beiden Erwartungen an mich habe ich erfüllt. meine Kinderperspektive auf mich nickt einsichtig und gibt mir den Pin für „level accomplished“.
schön, dann ist der Text ja jetzt fertig, oder? ich bin zufrieden…also meistens. oder in bestimmten Situationen…herrje, nach den Ideen kam ja noch so vieles mehr.
mit Anfang 20 hatte ich mir vorgenommen, vor dem Mutter-werden eine Psychotherapie zu machen, um meine Kindheit geregelt zu bekommen. mir war klar, dass ich das tun muss, wenn ich nicht die Last, die ich übertragen bekommen habe, an meine Kinder weitergeben will. mir war das deswegen klar, weil ich ab Eintritt in die Pubertät spüren konnte, wie es sich anfühlt, wenn eine Mutter das, was sie traumatisiert hat, unreflektiert an ihre Kinder weitergibt. ich wusste, wie irrational plötzlich Schmerzen den Alltag beherrschen können und Strafen verhängt werden müssen für Verhalten, das altersentsprechend war, aber eben „nicht gut“. vor allem wusste ich, dass Leistung nicht vor Strafen schützt, also: die Legende, gut sein zu müssen, um geliebt zu werden, wurde zwar gelehrt, aber nie erfüllt. zerstörte Geschenke, zurückgenommene Versprechen, kein Lob für Leistung aber Abwertung für Fehler. und oben drauf die Gewissheit, egal wie andere mich bewerten, war ich zuhause nie gut genug. in nichts. nicht mal in dem, in dem ich wirklich gut war.
Mutter kann auch bedeuten, einem jungen Menschen den Rucksack schwer zu machen mit dem, was einem selbst zu schwer war, und sich trotzdem sicher zu sein, es gut zu meinen und zu machen. weil Liebe.
das wollte ich nicht für meine Kinder. und das habe ich, wahrscheinlich, geschafft. mit zwei Langzeittherapien mit zwei fantastischen Therapeutinnen. ob ich es tatsächlich geschafft habe, werden meine Kinder mir im Laufe der nächsten Jahre von sich aus mitteilen, denke ich. denn auch ich habe es damals versucht, mitzuteilen. und ich habe daraus gelernt, zuzuhören, wenn meine Kinder mich kritisieren.
ich bin jetzt seit 19 Jahren Mutter, aber so richtig aktiv mit andauerndem Content seit 11 Jahren. und dieser Mutter-Content ist nicht nur der Lackmus-Test für die Bewältigung der eigenen Vergangenheit, nein, es ist auch DAS BootCamp für Feministinnen:
Fremdbestimmung ab dem Schwangerschaftstest, Bewertungen von außen, erhöhte Auflagen an Lebensführung und das alles in einer sexistischen Gesellschaft, die bei dem Wort „Vereinbarung“ motivierend nickt und sich bei „ja wie denn bitte?“ augenrollend wegdreht. Frauen versagen, wenn sie sich nicht um die Kinder, nicht um Erwerbseinkommen, nicht um ein schönes Zuhause, Kinderförderung, die eigene Rente, die Umwelt, ihren CO2-Fußabdruck, Auslandserfahrung und die Schule kümmern. wer selbst nicht genug Geld hat, muss nur gut genug googeln, und findet dann schon raus, wieviele mehrseitige Anträge gestellt werden müssen, damit es etwas leichter wird. und welche Leistung subsidiär ist. und auf welche kein Anspruch besteht. und wie lange auf welche Bewilligung gewartet werden muss. und wenn sie das alles nicht wissen muss, weiß sie, wie hart der Kampf um Kita-Plätze (vor allem bei einem ungünstigen Geburtsmonat), um Kinderarztplätze oder Termine bei Fachärzten ist. sie weiß, dass es in der Stadt für Familien sowohl kaum bezahlbaren Wohnraum gibt aber auf dem Land vor allem überfüllte Gesamtschulen (Stichwort: Lenkung). sie weiß, dass sie ihr Kind nicht kurz vor der Arbeit bei der Schule absetzen darf, es aber sofort abholen muss, wenn die Schule anruft, weil „was ist“. und da sind wir noch nicht mal bei den Kindern, die aus unterschiedlichsten Gründen mit den Schablonen unserer Betreuungssysteme Schwierigkeiten haben.
die Einsamkeit frisch entbundener Mütter ist beinah legendär. und sie setzt sich fort, wenn das eigene Kind ein „Problemkind ist“. welche Mutter hat schon die Kraft, on top zum eigenen Vereinbarungsmarathon noch die „problematischen Kinder“ anderer Mütter zum Kindergeburtstag einzuladen? die Ernährungsregeln für Kindergeburtstage sind schon krass genug: von verschiedenen Unverträglichkeiten über religiöse Regeln bis hin zu Entscheidungen gegen Zucker und/oder Massentierhaltung. damit verurteile ich keineswegs die Rücksichtnahme aufeinander, du liebe Liese, nein. aber: das war in meiner Kindheit zwischen Schokokuss-Kuchen und McDonalds-Geburtstag überhaupt nicht absehbar! und ich frage mich heute: warum ist in Gummiebärchen eigentlich Gelatine?
mit bis zu 2h Wartezeit beim Kinderarzt, um einfach nur einen Infekt abklären zu lassen, fehlt die vereinbarende Mutter natürlich beim Arbeitgeber und kann sich nur nach Ausfertigung eines Kind-Krank-Scheines einen Teil des verpassten Einkommens zurückholen. die Gesellschaft weiß, dass Kinder krank werden und dann Hilfe brauchen. aber bitte nur in einem gewissen Rahmen. und verbunden mit Aufwand…damit es einfach wird, gibt es Apps, aber um die Apps zu nutzen, braucht es Tutorials, damit das ganze Potenzial sichtbar wird. gleichzeitig sind wir den Kindern Vorbilder, was die Handynutzung angeht. hach, irgendwie ist auch das nicht fertig gedacht.
und natürlich haben die Mütter versagt, wenn die Kinder in der Schule unangepasstes Verhalten zeigen, in der Pubertät abstürzen und aus der Familie genommen werden müssen. versagende Väter sind noch nicht mal Schuld, wenn sie im Rampenlicht versagen. von Vätern erwarten wir nicht so viel. sie sind schon Helden, wenn sie ihre Kinder mit Schuhen und Brotdose im Kindergarten abgeben und beim Kindergeburtstag mit Fußball spielen, während die Mütter die Teller vom Tisch räumen. Väter schreiben inzwischen Blogs und Bücher über ihre unfassbar progressive Entscheidung, Vater zu „sein“. sie werden beim Bäcker gelobt, wenn sie einfach für das Kind ein Hörnchen kaufen, während Müttern zugezischt wird, dass DAS KIND nur eine Socke anhat.
Content, den das Leben schreibt. klar zusammenkondensiert an dieser Stelle, denn die einen trifft es mehr, die anderen weniger. immer abhängig davon, mit wievielen Menschen diejenige so Kontakt hat, nicht wahr? ob das Kind im SUV beide Socken an hat, ist eben nicht so gut zu erkennen, wie bei einem Kind in der Trage einer Mutter in den Öffis.
und ich habe noch nicht einen Gedanken dazu gefasst, dass die eigene Rolle als Mutter auch sowohl Sicht auf als auch Beziehung zur eigenen Mutter verändern. „komm erst mal in mein Alter, dann wirst Du es schon verstehen“ ist ein Satz, den meine ganze Generation kennt…die einen nicken heute lächelnd, die anderen senken beschämt den Kopf. zwei bis drei Bier und Eltern wie Großeltern einigen sich auf „ach diese Kinder“. oder? oder sie erkennen schockiert, dass es schon damals andere Wege hätte geben können, wenn der Wille da gewesen wäre. autsch.
ich bin mir da mit mir sehr einig: Mutterschaft ist so komplex, dass sie den Vergleich mit Rocket Science nicht scheuen braucht. weder seelisch noch körperlich noch wirtschaftlich. und ich sehe seit ich in der Lage bin mediale Darstellungen zu verfolgen KEINE Verbesserung in der Darstellung von Mutterschaft. ich hatte mich damals den Elternbloggern angeschlossen, weil ich meine Stimme nutzen wollte, um kritisch zu hinterfragen. weil ich das, was ich erlebte, so unfassbar anachronistisch fand, dass ich andere Frauen ermutigen wollte, bei sich zu bleiben und ggfs. mit mir im Chor den Kopf zu schütteln.
ja, vieles, was wir heute haben, ist mehr als das, was es vor 30 Jahren für unsere Mütter als Hilfe gab. nie war der Kinderschutz so gut wie heute, es gab aber auch noch nie solche technischen Möglichkeiten für Kindesmissbrauch wie heute. nie gab es mehr Hilfen für Familien, aber es gab auch noch nie solche Mietpreise in Innenstädten und solche Preise für Lebensmittel. das zugrunde liegende Paradigma hat sich kein Stück gewandelt: wenn die Mutter nicht die Transformation zur eierlegenden Wollmilchsau schafft, hat sie versagt und wird abgestraft. und weil wir heute nicht mehr unverheiratete Frauen die Kirchentreppen fegen lassen und geschiedene Frauen in Großstädten nicht mehr für jeden offensichtlich sind, schaffen wir eben Stereotype, die immer weniger Spielraum lassen.
Mutterschaft ist keine Auszeichnung für besondere Leistungen zum Wohl des Kindes und zum eigenen Wohl. Mutterschaft ist eine verpflichtende App, die an jeder Stelle etwas kann, was gerade nicht gebraucht wird und die so schnell Updates läd, dass Du schon dauernd drauf gucken musst, um mit dem Design mitzukommen. die App zeigt dauernd kleine Zahlen an, aber Du findest nicht, wo die Nachrichten sind, die Du nicht gelesen hast. sie zieht unfassbar viel Strom, funktioniert aber nicht im Stromsparmodus. wenn Dein Handy zu alt ist für das nächste Update, musst Du in ein neues Handy investieren, weil Du sonst alle Kontakte verlierst. und sie wird sofort gesperrt, wenn Du Dich im Ton vergreifst.
…gleichzeitig bedeutet Mutterschaft, trotz all dem, was schief läuft, trotz all dem, was Dich davon ablenkt, festzustellen, dass Deine Kinder Dir erzählen, wenn ihnen etwas passiert, was sie belastet. es bedeutet Lachkrämpfe über alberne selbstgeschriebene Gedichte und Stolz aufeinander, wenn eine oder einer von uns mutig war. Mutterschaft bedeutet, Regeln aufzustellen und zu ignorieren. sich den Mund fusselig zu reden in der Hoffnung, später als Gesprächspartnerin in Betracht gezogen zu werden. es bedeutet, über den eigenen Schatten zu springen und 5 Jahre später zu hören, dass das Kind es gesehen hat und dafür dankbar ist. Mutterschaft bedeutet, gemeinsam über seltsame Regeln zu lachen und es anders zu machen. und in jeder Phase neu zu prüfen: brauchen wir das noch oder kann das weg?
Mutterschaft ist niemals das, was Du Dir vorgestellt hast. es ist besser. weil Du Teil davon bist. weil Du die Welt nochmal mit den Augen der nächsten Generation sehen darfst. und die nächste Generation die Welt aus Deiner Sicht gezeigt bekommt. freiwillig. im vorübergehen. ohne Präsentation. nur durch das Handeln miteinander.
mein Sohn hat mir zum Muttertag einen Koi in der Schule gemalt. weil er gern Kois mag. das Geschenk hat er in der Schule vergessen. auf dem Tisch stehen keine Blumen, keine Torte, kein irgendwas. die Waschmaschine läuft zum dritten Mal seit gestern. der andere Sohn hat zum Muttertag nichts in der Schule machen müssen, ein Glück, aber er hat mit mir Latein geübt und meine Hilfe angenommen. beide haben mir gestern beim Aufräumen geholfen. und beide werden heute auf mich hören, wenn ich zum Flohmarkt gehe und darum bitte, mit dem Zocken bis abends zu warten, damit sie bei dem Wetter nicht nur zuhause rumhocken. und wenn sie nicht auf mich hören, werden sie es mir heute abend sagen, wenn ich sie frage. beim Abendbrot. sie müssen nicht dankbar sein, finde ich. sie sollen mit mir zusammenarbeiten, wenn es drauf ankommt.
für mich gibt es heute nichts zu feiern. meine Kinder sehen jeden Tag, was ich für sie tue und sie werden sich daran erinnern, wenn sie groß sind. die Gesellschaft sieht mich nicht. die Politik sieht mich nicht. der Vater meiner Kinder sieht mich nicht. und solange das, was ich tue, gesellschaftlich selbstverständlich ist, feiere ich sicher keinen Muttertag mit Rosen und Torten. so weit kommts noch. Rosen und Torten…ich hasse Rosen und vertrage keine Laktose.
Liefs,
Minusch
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