die Welt scheint sich zu überschlagen, und in der gigantischen Neuigkeiten-Waschmaschine fühle ich mich wie diese nasse Socke, die in der Tür eingeklemmt zwar nie in den Schleudergang kommt, aber eben auch nie Wäscheleinen-trocken wird. Nachrichten, die mich bewegen, Aufgaben, auf die ich mich gefreut habe und die bittere Erkenntnis, dass ein Buch, das niemand mehr verlegt, wohl tatsächlich keine gute Grundlage für eine Fortbildung ist. hätte ich mal auf mich gehört. hab ich aber nicht.
aktuell verliere ich die meiste Energie durch Eile. wenn um 6 der Wecker klingelt, beeile ich mich ins Bad, damit ich mich dann in die Küche beeilen kann und dann schnell die Spülmaschine ausräume, bevor die Jungs nach und nach aus dem Bad in die Küche kommen und dann streiten. der Moment, ab dem ich eigentlich nur eine Tasse Kaffee trinken wollen würde, erlischt im Plural von „Stop!“ und „Hast Du nicht was vergessen?“ und „Hör bitte auf!“ an den einen Tagen nehmen wir uns zum Abschied in den Arm. an den anderen Tagen sehe ich die Schulrucksäcke durch die Tür verschwinden und bekomme auf der Gegengrade im Treppenhaus noch einen zornigen Blick ab. nicht mitten ins Herz, dafür weiß ich zu viel. aber leicht macht es das nicht.
wenn ich dann versuche, den Kaffee auszutrinken, ist er meist kalt.
dann beeile ich mich in die Schule oder fühle mich an den Home-Office-Schreibtisch geschickt. 2do-Listen, Monatsabschlüsse, Absprachen mit den anderen, Rückmeldungen und als Garnierung spontan intervenieren, wenn etwas schief geht. dafür bekomme ich mein Gehalt, das ist ok. ich hätte nur gern eigentlich mehr Puffer drumherum. mehr aus-dem-Fenster-sehen. mehr alles-gut.
seit 9 Jahren lebe ich in diesem all-in-Zustand. ich beeile mich zu Elternabenden oder nachhause, wenn es den Jungs nicht gut geht. ich habe immer das Telefon in Reichweite, falls was ist. Urlaub machen wir immer zusammen. zuhause überwache ich immer das Zocklimit. ich frage nach Hausaufgaben, Arbeiten, Zetteln aus der Schule und erinnere ans Training. ich begleite überall hin und motiviere auch dazu, das Haus zu verlassen. ich streike halbherzig, wenn wochenlang niemand mehr im Haushalt hilft. und ich schlafe problemlos um 18:00 Uhr ein, wenn ich vergesse, meinen Kopf nicht anzulehnen.
und zwischendurch verliere ich die Selbstbeherrschung, weil das Zimmer der beiden eine einzige Eskalation ist und dann schreie ich und mache düstere Vorhersagen und dann geh ich wieder in mein Zimmer und weine trockene Tränen irgendwo zwischen Wut und Erschöpfung und dann ist eh wieder irgendein Termin. irgendein Reifen platt. irgendein Stift verloren. irgendein Schuh zu klein/Tasche verlegt/Lampe nicht geladen/Tomatenteller leer.
ich habe begonnen, Downton Abby nochmal zu sehen. für jeden Haushaltsbereich gibt es Leute, die sich vor allem darum kümmern. Tür öffnen, wenn jemand klopft, Kochen, Betten frisch machen, Lüften, frische Blumen…ich sehe das und werde ganz friedlich. ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn hier alles grundlegend in Ordnung wäre, ohne dass ich dafür mein Wochenende aufgeben muss. allein die Zeit, die ich zum einkaufen brauche, hätte ich viel lieber zum lesen.
die Kraft, die ich früher zum Wohnung-gestalten aufgewandt habe, ist weniger geworden. ebenso die Kraft, die ich früher zum tanzen gehen hatte. auch die Kraft, um Menschen kennenzulernen, hat sich verringert. und die zum zeichnen oder singen. Sport ist ganz verschwunden. ich backe viel weniger als noch vor 5-9 Jahren. und ich koche seltener, seit die Jungs in der Schule essen können (wo es mich eben nichts kostet). es fühlt sich nur nicht so an, als hätte ich in irgendeiner Hinsicht Zeit gewonnen.
bin ich jetzt näher an meiner Essenz oder so weit weg davon wie noch nie? ich weiß es nicht. Gedanken habe ich nach wie vor und ich fühle und lache und das Leben mit meinen Söhnen gewinnt an Qualität. aber wie kann ich etwas für mich tun, wenn alles, was ich tun muss, für andere ist? wie kann ich die Priorität auf mich setzen ohne Backup? wenn ich mir einen faulen Tag gönne, an dem ich nichts mache, versacken die beiden im Kinderzimmer mit Elektrogeräten bis mir der Kragen platzt. die Alternative zu dem Unterhaltungsprogramm durch mich ist das Unterhaltungsprogramm durch Konsolen. auch wenn wir oft genug erfahren haben, dass uns allen dreien das schadet.
die zwei haben auch das Recht, vom Alltag müde zu sein. die Anforderungen des Gymnasiums sind derbe. und wenn die Konsolen da helfen?
der Große weiß jetzt, wo das Gazastreifen liegt. der Kleine will davon noch nichts wissen. wir schütteln alle drei den Kopf über religiösen Fanatismus und beschwören eine dem Menschen innewohnende hypermenschliche Universalethik. wir googeln The-Walking-Dead-Monopoly und diskutieren über Altersbegrenzungen für Filme. was ist eigentlich wirklich schwer zu ertragen, wenn wir es in Filmen sehen? und welche Realitätsbezüge haben die Tribute von Panem?
tatsächlich habe ich nicht den Eindruck, muttermenschlich versagt zu haben. aber ich nehme an, dass ich einen verdammt hohen Preis zahle. und dieser Preis scheint noch anzusteigen. das Gefühl müde zu sein gehört inzwischen unausweichlich zum Normalzustand. nach einem Arbeitstag brauche ich regelmäßig eine Komplettüberholung, weil ich so vermenopaust aussehe. wenn mir abends beim Einkaufen andere Frauen Mitte 40 begegnen, frage ich mich inzwischen, wie schon früher in der Schule, wie die anderen das machen: einfach den ganzen Tag frisch und duftig auszusehen, während ich ab 12 Uhr anfange äußerlich abzubauen.
wenn ich allerdings in Frauenpodcasts reinhöre, ahne ich woran es liegen könnte: Geld. Geld für Beauty, immer wieder neue Kleidung und Geld, um sich Zeit zum Shoppen zu leisten. Geld für SPA-Wochenenden mit den Mädels. Geld für Städtetrips. Geld für Dinners in schönen Restaurants mit anderen schönen Menschen. Spaß am schön-sein, weil es eben geht. wo ich immer versuche, wenigstens einen gepflegten Eindruck zu hinterlassen, haben andere Frauen in meinem Alter den Ehrgeiz, schön sein zu wollen, weil sie es sich wert sind. und genau diesen Wert, den ich mir wert wäre, habe ich nicht, weswegen mir „gepflegt“ zwar reicht, ich aber damit auch in Kauf nehme, ab high noon Abstriche davon machen zu müssen.
ich wäre mir auch gern so viel wert, dass ich so wertvoll aussehe, aber mein ganzer Wert fließt in meine Söhne. und wenn ich dann nur selten für mich was besonderes kaufen mag, nenne ich mich eben nachhaltig. das ist ja auch gut.
ethisch bin ich mit mir im Reinen. menopausisch bin ich auf einem guten Weg. erzieherisch mag ich hart am Wind segeln, aber noch sagen mir meine Söhne, dass sie mich lieb haben, auch wenn sie es schon schaffen, meinen Geburtstag zu vergessen. und manchmal nickt mein inneres Kind mir zu, weil ich es schaffe, mich selbst lieb zu haben.
so ist es gerade hier. auf meiner kleinen Insel in der Stadt.
Liefs,
Minusch
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