einatmen – ausatmen…was beim Yoga zu jeder Übung gehört und glücklicherweise trotzdem erwähnt wird, scheint im Alltag zu verschwinden. einatmen – ausatmen – einatmen. wahrnehmen. unterscheiden. hänge ich noch „entscheiden“ an, bin ich in der alten Schule ignatianischer Exerzitien, die nicht umsonst nach wie vor genutzt werden kann. also von denen, die auf Stille und Einsicht stehen und vor allem an einen Christlichen Gott glauben. wobei Exerzitien auch ohne Gottesglauben funktionieren, Psychologie sei Dank.
ich atme also tief gegen das Geräusch der Straßenkehrmaschine an. und gegen den unbestimmten Impuls, tun zu müssen. etwas, was getan werden muss. denn: nichts drängt, nichts muss. bis um 11 muss der Camper zurück bei den Verleihern sein, aber auch bis dahin ist noch Zeit. also atmen.
im Laufe der Zeit habe ich aufgehört, hier Erkenntnisse reinzubringen tippen. aber ich vermute aktuell, dass es gut wäre, dies wieder zu tun. hier laut zu denken. meine existenziellen Krisen sind behoben. die größten Stressoren sind auf Abstand. und mit jedem Tag, der so vergeht, spüre ich, dass da etwas für mich bleibt. Zeit für Gedankenstränge quer durch die Zeit. Zeit, aufzuschreiben, was in mir kreiselt.
eine ausgesprochen schräge Erkenntnis spukt mir schon lange im Kopf herum: es war im Frühjahr, in einer der vielen Erkältungswellen, als ich mich noch gewundert habe, dass ich um alle möglichen Infektionen drumherum kam. ja, ich hatte mal Bauchweh oder schlechte Laune, Kneifen im Nacken oder Zyklusbeschwerden. aber die ganz dicken Infektionen blieben aus. alles lief so vor sich hin. und irgendwann war ich „trotzdem“ müde und dachte mir: „puh, eine Pause wäre echt gut…“ und wurde krank.
sowas ist mir schon öfter passiert. seit Jahren habe ich den Eindruck, Infekte „herbeizurufen“, wenn ich müde bin. ich habe es nicht reflektiert aber irgendwie schrieb ich mir eine Art Macht zu, sowas selbst auslösen zu können…
…dieses Jahr habe ich verstanden: ich werde müde, weil sich ein Infekt ankündigt!
BAM!!
als als „faules Kind“ sozialisierte Frau war es mir bisher logischer, dass ich mir eine Krankheit wünschen kann, als dass ich erschöpft bin, wenn sich eine Krankheit ankündigt. ich weiß einiges über die Zusammenhänge von Stress und Immunsystem und schätze die Belastungen der letzten 10 Jahre als hoch ein. aber um diese gedankliche Ecke habe ich bisher nicht drum geschaut. in meiner Kindheit war es auch so, dass ich oft das Gefühl hatte, krank zu sein, es aber laut meiner Mutter nicht war. mit Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Bauchschmerzen war ich in der Schule, weil ich mich nur um Arbeit drücken wollen würde. auch meine erste Schwangerschaft sei Ausdruck meines Drückens vor meinem damaligen Studium (in dem ich mich echt erfolgreich fand) gewesen.
inzwischen kann ich Tage, an denen es mir nicht gut geht, anhand von inneren Biofeedbacklisten identifizieren. ich registriere die Schwere des Aufstehens, Schmerzen, Körpertemperatur, Appetit und gleiche sie mit dem Normalzustand ab. und seit ich das mache, ändere ich mich dadurch. möglicherweise habe ich dadurch verstanden, dass der Zusammenhang „aufbrechender Infekt <>Erschöpfung“ besteht. Mindblowing für mich. keine Ahnung, ob das irgendjemand nachvollziehen kann.
einatmen – ausatmen. wahrnehmen – unterscheiden.
jetzt frage ich mich, ob und wie ich meinen Söhnen Unrecht getan habe. ich vermute aber, dass deren aktuelle Phase, mir täglich was vom Pferd zu erzählen, mir bei der Klärung dessen im Weg steht. die Pubertät ist eine toughe Zeit, voller wunderbarer Witze und voller abgründiger Wut. aber ich neige mehr und mehr dazu, mir selbst zu vertrauen. mich auf mich zu verlassen. auch in dem Punkt, wieder in Ordnung zu bringen, was ich falsch gemacht habe. natürlich ertappe ich mich in Momenten, in denen ich einen Sekundenbruchteil nachdem es aus mir herausgeplatzt ist, den Geist meiner Mutter sehe, die mich mit demselben Satz kritisiert hat. und vielleicht wird das auch noch lange so sein, weil ich mir nicht sicher sein kann, jemals alle Stellen in meinem seelischen Familien-Quilt bereits ausgebessert zu haben. aber meine Bereitschaft zum ausbessern ist da. und die Empfindsamkeit für Signale ebenso. und auch die Bereitschaft, mich zu erklären und vor allem um Entschuldigung zu bitten.
einatmen – ausatmen.
ich habe meinen Jahresvorsatz vergessen. aber unabhängig davon fühle ich mich in meinen Routinen meistens wohl. ich lerne, dass ich es mir leicht machen darf. dass es keine Schande ist, es sich leicht zu machen. dass es keine Schande ist, falsche Entscheidungen mit finanziellen Konsequenzen zu treffen. dass die meisten meiner (oder auch unserer) Entscheidungen gut sind. also wirklich gut. nicht egal oder ok oder naja. gut. meine Entscheidungen haben dazu geführt, dass sich uns dreien Ressourcen durch Erfahrungen erschlossen haben. wir wissen jetzt, dass wir Berge doch toll finden, auch wenn nur einer von uns die Kraft hat, bergauf zu springen wie eine Gams (wir zwei anderen sind mehr Murmeltiere, die sich ansiedeln und umschauen und Blümchen frühstücken.) wir wissen, dass es nicht „den perfekten Urlaub“ gibt, sondern dass es besser ist, mehrere kleine Reisen zu machen, so dass jeder was davon hat.
wir haben gelernt, unsere Wünsche zu konkretisieren, jeder auf dem eigenen level. gestern auf dem Weg durch die Wolfsschlucht kamen uns sowohl bergauf als auch bergab Menschen entgegen. auf dem Weg hinauf blieb ich stehen, um eine Familie vorbei zu lassen. die Mutter lief ganz hinten und bedankte sich erschöpft bei mir. dabei verschnaufte ich selber sehr zufrieden beim Warten, weil meine Söhne schneller waren als ich. Win:Win.
bei einer Futterpause meinte mein Sohn, er könne auch noch hier an dem Platz bleiben, weil es schön sei, ich bestätigte, dass ich auch nicht zwingend weiter hoch müsse und der zweite Sohn war auch einverstanden. ich packte meinen Zeichenblock aus um ein Steintürmchen zu zeichnen und meine Söhne begannen, weitere Türmchen zu bauen. es waren ruhige 30min mit Zurufen, einer schönen und zwei schrägen Skizzen, drei neuen Türmchen und in Zufriedenheit. auf dem Weg bergab ließ uns eine Familie vorbei, in dem sie wartend an die Seite trat. die letzte von der Familie, die Mutter, grinste mich breit an, als ich artig „Dankeschön“ sagte und erklärte auf Schwäbisch, dass diese Pausen die schönen Momente wären, in denen sie zum durchschnaufen käme. diese gemeinsame Erfahrung, als letzte der Familie den anderen hinterher zu steigen und zufrieden zu sein, wenn sich ein Grund zum warten einstellt, hat mich umgehauen. nicht nur ich bin bei Steigungen die Letzte. und wir können darüber ehrlich sprechen. es ist keine Schande, keine Bergziege zu sein. der eigene Score sinkt nicht, wenn die Kondition nicht der der Kinder entspricht.
einatmen – ausatmen.
wahrnehmen – unterscheiden.
und dann war da noch die Frau am See. sie sprach mich an, ob auf der Bank noch Platz sei und begann zu erzählen und es entspann sich ein Gespräch und ich erinnerte mich an sie und sie erinnerte sich an mich und waren vor 23 Jahren mal Nachbarinnen. ich erzählte davon, alleinerziehend zu sein. sie erzählte von ihrer Krankheit und sich aus den Umständen ergebenden Sparsamkeit. und ich als ich sagte, dass ich ab nächstem Jahr so viel verdienen werde, dass ich keine weiteren Leistungen mehr beantragen muss, strahlte sie mich an: „Das hast Du geschafft? Wie wunderbar! Was für ein Weg! Was für eine Leistung! Was für eine tolle Frau Du sein musst!“
einatmen – ausatmen.
…was für eine tolle Frau ich sein muss…ja, ich habe das geschafft…Hilfe angenommen…Widerstände überwunden…Mut gezeigt…gut entschieden…ich schreibe das so deutlich hier hin für mich. denn das erste, was mir im Alltag flöten geht, ist meine innere Ruhe. dabei darf ich darauf sitzen wie auf einer Schaukel, die mit jedem Schwung mitgeht, aber auch immer wieder zurückkehrt in die Ausgangsposition. in die Ruhe.
ja, ich feiere mich mit diesem Blog selbst. niemand sonst tut das. daher halte ich es für ok, es hier zu tun. stellvertretend für alle anderen Frauen, die nicht gefeiert werden und denen die Gedanken schneller davon huschen als ihnen lieb ist. Gedanken folgen zu dürfen ist zwar kein Luxus, verkommt aber zu einer niedrigeren Priorität, wenn der Stress rundherum steigt. wer findet schon die Zeit, wie Astrid Lindgren empfahl, einfach auf einem Stuhl zu sitzen und zu schauen? wer nimmt sie sich, im Angesicht von Vokabeltests, Monatsabschlüssen und Steuererklärung?
einatmen – ausatmen – hinsetzen – schauen
Liefs,
Minusch
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