dear queers

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heute ist CSD in Darmstadt. für Euch ist es gar nicht erheblich, aber ich bin da mal mitgelaufen. in der Zeit, als mein einer Sohn Prinzessin sein wollte und der andere Spiderman und ich darüber nachgedacht habe, ob dieses neue Label „nonbinary“ nicht eine gute Beschreibung für mich wäre. schließlich habe ich in meiner Pubertät in den Herrenabteilungen geshoppt, weil mir all das grellbunte Mädchenzeug a) zu grell und b) zu unbequem war. ich hab auch mal so einen Filter probiert, der mich optisch zum Mann macht, und ich fand mich als Kerl echt gut aussehend. besser als als Frau.

ich bin nicht nonbinary. ich bin eine Frau, die in Herrenhosen besser im Schneidersitz sitzen kann.

die letzten Jahre habe ich einen Bogen um den CSD gemacht, weil ich durch Diskussionen in Social Media ein schales Gefühl bekommen habe. zwei Freundinnen vonmir waren vor zwei Jahren hier und wurden angemacht, weil sie mit der falschen Flagge unterwegs waren. die Flagge sei transphob. es ging um die Flagge der Lipstick-Lesbians…

ich habe ganz offensichtlich den Zeitraum verpasst, in dem ich aufgrund meiner sexuellen Orientierung und so wie ich bin hätte mitlaufen können. oder mitfeiern. und meine Berechtigung, zu LGBT-Szene zu gehören, habe ich eingebüßt, als ich auf Twitter geschrieben habe, dass ich nicht weiß, ob ich Transfrauen als Frauen sehen kann, weil ich mir schon damals über 15 Jahre Radikalfeminismus erarbeitet hatte und da schon wusste: wenn wir einen rechtlichen Begriff, an den Schutzrechte gekoppelt sind, verändern, verändern wir diese Schutzrechte. ganz klar: transphob.

egal war, dass ich damals mit einer Transfrau meinte befreundet zu sein und eine der aggressivsten TRAs von Berlin mir Päckchen geschickt hat. egal war, dass ich selbstverständlich Menschen mit ihrem Wunschnamen abgesprochen und die Lieblingspronomen (damals bei Transfrauen durchweg ihr/sie) benutzt habe. dass ich mich offen solidarisiert, Geld gespendet und Partei ergriffen habe. transphob.

heute feiert die queere Szene das, was ich befürchtet habe: den Aufbruch eines rechtlichen Begriffes in etwas erweitertes. damit soll Freiheit einhergehen. Selbstbestimmung für queere Menschen. gleiche Rechte. das beschreibt Ganserer, die aktuelle Schirmherrschaft des CSD. gleiche Rechte. Schutz. das klingt so, als müsste es jeder Mensch naturgemäß unterstützen. Ganserer hat sich im Gesicht operieren lassen, präsentiert aber in jedem zweiten Shot, dass es nicht auch ums Geschlecht, den Penis, sondern nur um das Gesicht und das Styling geht. Ganserer nimmt sich die Freiheit, in Outfits im Bundestag zu sitzen, in denen würden Frauen desselben Alters maximal abends im Schlafzimmer warten. Freiheit. Ganserer lässt Menschen abmahnen, die aufgrund des Penis die Weiblichkeit einfach nicht anerkennen wollen. Auf Kosten der Steuerzahler. Und Ganserer nennt sich Mutter, obwohl alle wissen, dass nicht ein Kind durch Ganserer auf die Welt gebracht werden konnte und die politische Karriere nur auf Kosten der tatsächlichen Mutter der Kinder möglich war.

Freiheit.

meine Freiheit endet da, wo ich Ganserer nicht als Frau betrachten kann, weil ich weiß, was seine Exfrau durchgemacht haben muss, weil ich selber eine Frau bin. weil ich weiß, wie die patriarchale Schlinge sich zuzieht, sobald Du tatsächlich Mutter bist und Dein elterliches Backup plötzlich eine Seite zeigt, die alles andere als unterstützend für die Familie ist. weil ich weiß, wie schlagartig Einsamkeit über Dich hereinbricht, wenn Du das aus der Freiheit geborene Geschlecht Deines Gegenübers nicht bestätigen kannst, weil Dir klar ist, was dieser Mensch alles nie erfahren hat und erfahren wird, Du aber mit Millionen Frauen weltweit teilst. weil ich den Shitstorm kenne, der über Dich hereinbricht und droht, Deine wirtschaftliche Existenz anzugreifen.

Ganserer wird von einer kompletten queren Generation geglaubt. mir nicht.

ich bin bisexuell. ich hatte zwar mehr Beziehungen zu Männern, aber nur, weil die Lesbenszene einfach irre kompliziert (und exklusiv) ist. und immer war. ich habe in Lesben-Foren mitgeschrieben: auch Lesben glauben lieber Männern mit Freiheitsanspruch als mir. nicht, weil ich im Gegensatz zu den Männern, mit Schimpfworten um mich werfe, sondern weil ich diese neue Idee von Geschlechtlichkeit hinterfrage. weil ich mich positioniere. weil ich die Priorität des Schutzes von Frauen vor Übergriffen als höher bewerte als den Anspruch von Männern auf weibliche Solidarität, egal wie sie sich anziehen. transidentifizierte Männern dringen in Schwangerschaftsgruppen, Geburtsvorbereitungskurse und in Selbsthilfegruppen von Frauen, die Fehlgeburten hatten (und faken Fehlgeburten, Menstruation und sexuelle Belästigung). sie dringen in Umkleidekabinen, Krankhauszimmer und Gefängniszellen. und sie schlagen vor einem Millionen Publikum andere Frauen in deren sportlicher Kategorie. und wenn eine Frau beim Lesbenstammtisch Probleme mit der Transfrau hat, weil diese Person wie ein Knebel wirkt, dann geht nicht die Transfrau.

Freiheit. Schutz.

für wen nochmal?

die „marginalisierteste Gruppe der Welt“ beinhaltet einige Milliardäre, einige Women Of The Year, einige Auszeichnungen für Frauen und Plätze in der Politik weltweit. diese Gruppe räumt weltweit Medaillen ab, die für Frauen ausgeschrieben waren. inklusive Preisgelder.

wo stehen all die Transfrauen beim Thema „Frau Freiheit Leben“? wie sieht die Solidarität aus? wie stehen sie zu FGM? wie zu häuslicher Gewalt? wie zu den Morden an Frauen in ganz Südamerika? wie zu dem Thema Menstruationshütten? wie stehen sie zu sexuellen Übergriffen auf Unisexklos? zu Lia Thomas, „deren Penis“ und deren Starren in der Umkleidekabine? wie stehen sie zu WiSpa? Wie bewerten Transfrauen den Unterschied zwischen Ganserer im transparenten Oberteil und doppeldeutigen Tatoos im Gegensatz zum lächerlich gemachten Dekolleté von Merkel bei den Wagner-Festspielen? wie stehen Transfrauen zu dem Bedürfnis von Mädchen und Frauen, unter sich sein zu können? wie stehen Transfrauen zur Cotton Ceiling?

wie stehen Transfrauen zu den Sideeffekts der Transition? zu Schmerzen beim Dilatieren, zum erhöhten Schlaganfall/Herzinfarktrisiko, Osteoporose, lebenslanger Medikamentenabhängigkeit, unüberschaubar vielen weiteren OPs, die sich aus der Transition zwingend ergeben? wie stehen sie zu Transition im Alter? bei Demenz? wie zu Detransition und deren gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Folgen? wie stehen sie zu Anorgasmie nach Behandlung mit sogenannten Pubertätsblockern?

warum ist es so viel leichter, diese ganzen Fragen offen zu lassen oder zu übergehen, die Fragen selbst als feindlich einzuordnen, als Antworten dazu zu fordern?

meine Hypothese dazu ist: wären Transfrauen Frauen, wären wir ab dem Zeitpunkt der Selbsterklärung auf Augenhöhe und könnten verhandeln. das sind wir offensichtlich nur dann, wenn wir ihre Forderungen stützen. also können Transfrauen nach wie vor nur Männer sein, weil sie sich jeder Debatte entziehen können mit einem simplen Nervenzusammenbruch wegen Misgenderns oder Hate-Speach und Frauen stehen staunend daneben. ich frage mich, welche Frau sich mit einer solchen Begründung einer Debatte hätte entziehen können ohne beruflich und sozial erledigt zu sein?

und ich möchte eine letzte Frage zum Thema Selbstbestimmung loswerden: was ist mit der Selbstbestimmung von Opfern von Gewalt, Menschen mit Behinderung, Familien mit Pflegefall, Menschen mit psychiatrischen Diagnosen, Menschen in Armut? wir ermöglichen massive grenzüberschreitende Selbstbestimmung für eine Gruppe und übergehen die buchstäblich nicht mal ansatzweise gesicherte Selbstbestimmung von sehr vielen anderen Gruppen, die schon bedeutend länger darauf aufmerksam machen, dass sie einen Anspruch darauf haben, besser behandelt zu werden. wo sind die Flaggen, Demos, Petitionen und Kampagnen? und wieso haben diese Gruppen offensichtlich nicht halb so viel Geld wie queere Gruppen?

ich bin Survivor, bisexuell und alleinerziehend. ich fühle mich vom queeren Sektor ausgeschlossen. das muss niemanden traurig machen. ich bin auch nicht traurig. aber wenn Transfrauen mehr Berechtigung zur Teilhabe an lesbischen Veranstaltungen einfordern können als ich als bisexuelle Frau habe, dann läd das zumindest zum Nachdenken ein. finde ich.

liebe Queers, feiert euch gern. Ambiguitätstoleranz ist völlig ok und angemessen. niemand muss alles immer und zu jedem Zeitpunkt in Frage stellen. feiert das, was ihr habt und seid. tanzt, schillert und lacht den ganzen Tag. seid euch aber auch bewusst: nur weil Menschen eine andere Perspektive einnehmen als ihr, sind sie weder feindlich noch phobisch oder missgünstig und stockkonservativ. viele von uns waren schon da, wo ihr jetzt seit. wir gönnen euch das Glück, dass es für uns damals in der Form nicht gab. das meine Generation damals aufgebaut hat für euch, damit ihr das habt, was wir damals gern gehabt hätten. es ist ein Geschenk. dafür müsst ihr sicher nicht jeden Scheiß glauben, den ältere euch einreden wollen. aber mitdenken müsst ihr, bevor ihr tobt. Antworten suchen, bevor ihr droht. und Gewalt gegen alle Menschen kritisch einordnen und nicht nur die gegen euch. Solidarität ist keine Waffe. und Fragen sind kein Hass.

Liefs,

Minusch

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2 Antworten zu „dear queers”.

  1. Avatar von Luise
    Luise

    Wow, vielen Dank liebe Minusch. Du hast in Worte gefasst was ich fühle, aber irgendwie nicht erklären kann.

    Alles Gute für Dich!

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