ex metú

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ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Ablativ an dieser Stelle richtig ist, aber – hey – was würde das schon ändern. außer der Überschrift. „aus Angst (heraus)“ soll es meinen oder will ich sagen. denn gerade habe ich keine. Sorge habe ich, weil meine Söhne eben noch keine Erwachsenen sind und ich ahne, was noch kommt. aber ich kenne auch andere Zustände als die Ruhe, die mir jetzt überraschend erlaubt, mich an Schmerzhaftes zu erinnern.

meine Kinder kennen mich in einem Zustand voller Angst. Angst vor wirtschaftlichem Totalschaden. Angst vor Schmerzen. Angst vor Einsamkeit. Angst vor Auseinandersetzung. Angst vor Druck, Forderungen, Grenzüberschreitungen, Missachtung, Verlust…und alle Ängste waren berechtigt denn all das ist geschehen in der Zeit, in der ich meine Kinder bis heute begleite. manches davon mehrfach. wie lang ging ich durch diesen Tunnel? wie lang gab es nur einen Weg? wie lang waren wir buchstäblich in Gefahr?

ich erinnere mich an die entmutigenden Gespräche mit der Frau in der Beratungsstelle: „Melden Sie sich, wenn sie Angst haben. Aber ich sag Ihnen gleich: wir haben nicht immer Platz im Frauenhaus…“ und an „Am gefährlichsten ist die Zeit nach der Trennung…da geschehen die meisten und heftigsten Gewalttaten“. ich erinnere mich an die Polizei, an die Scham. es war ein wunderbarer Frühlingstag. die Sonne schien. ich brauchte meine Jacke nicht und trug den Schal nur, um die Male an meinem Kiefer und meinem Hals zu verstecken, die sich langsam verdunkelten.

ich erinnere mich an das Herzklopfen mit den zwei Polizisten hinter mir im Treppenhaus. und ich erinnere mich an meine beiden Kindergartenkinder, mit denen ich abends im Wohnzimmer auf dem Boden saß. eng in einer ewigen Umarmung unter Schmerzen, weil mein Nacken steif geworden war durch den Aufschlag auf dem Boden und weil die bisher unbemerkten blauen Flecken auf meiner Brust schmerzten. Tränen.

ich erinnere mich an die Ärzte am nächsten Tag. an den Satz: „also in dem Scan sieht es aus, als wären Sie mit 40 Sachen gegen eine Betonwand gefahren“…ich hatte schon vorher die Polizei gerufen. zwei Mal. dieses Mal war endlich sicht- und messbar, dass mir Gewalt angetan wird. zuhause. vor meinen Kindern. ich war Wochen vorher schon beim Jugendamt gewesen. jetzt wurde das Amt von der Polizei darüber informiert, dass es in meiner Familie tatsächlich häusliche Gewalt gibt. das hatte allerdings weder Hilfe noch Nachfragen zur Folge. es war eine Meldung. leer. wir waren nicht wert, nach uns zu schauen.

ich erinnere mich an Freundinnen, die nicht mehr antworteten. ich erinnere mich an Diskussionen an der Haustür bei der Übergabe. an seine Fahrten zu seinen neuen Partnerinnen mit den beiden Kindergartenkindern und wie genossen wurde, dass ich jedes Mal ausflippte, weil ich der Meinung war, dass er so nicht mit Kindern umgehen dürfe. ich erinnere mich an viele Tränen. Nächte mit wenig Schlaf. mit viel: „Warum?“

wir waren pleite, weil mein Gehalt aus der 0,45-Stelle gerade mal reichte, um Miete und Fixkosten zu bezahlen. ich erinnere mich verzweifelte Telefonate, weil ich nicht als einzige Erwachsene gemeldet war und solange da noch ein Erwachsener gemeldet ist, konnte ich schlecht alleinerziehend sein und entsprechende Hilfen beantragen dürfen.

ich erinnere mich daran, ständig krank gewesen zu sein.

und dann erinnere ich mich an das Crowdfunding für mich. und an geliehenes Geld. und Briefe. Karten. Pakete. ich erinnere mich an eine ganz liebevolle Welle der Fürsorge für uns. diese Welle hat mich zum ersten Mal raus gespült aus als dem Schmerz. die Freude meiner beiden Söhne beim Auspacken von Spielen, Kindersachen, Büchern. wir bekamen mal Pizza geliefert auf Kosten eines Followers. Plätzchen kamen zu Weihnachten. es hat mich sicher nicht gegen Schmerzen immun gemacht aber es hat die Einsamkeit gelindert und die Angst auf die Nächte verwiesen, in denen ich auf jedes Geräusch in der Wohnung gehört habe, aus Angst, es wären Schritte. immer vor dem Schlafen habe ich die Türschlösser geprüft. manchmal war mein Rad platt. oder ein Pakt war von der Treppe verschwunden. aber manchmal war auch eine überraschende Karte da.

„die Umgänge sind nicht mehr zumutbar, weil Du mich krank machst! Du bist schuld, dass unsere Kinder ihren Vater nicht mehr sehen!“

kein Unterhalt. kein Umgang. wieder Dunkelheit. und dann erinnere ich mich an das haarsträubende Mobbing der Vermieter und meine Gänge zum Mieterschutzbund und wie sinnlos das alles war und wie uns im Treppenhaus aufgelauert wurde, weil wir das Haus mutwillig zerstören, indem wir im Treppenhaus lüften. ich erinnere mich an Senf am Fenstergriff und Beleidigungen und Ausweglosigkeit. und ich erinnere mich daran, dass eine Freundin von einer Familie gehört hatte, dass diese aus dem Viertel wegzieht und meine Ungläubigkeit, als ich in der freien Wohnung stand und ein gewaltiges Deja Vu hatte. und an meinen Zusammenbruch als die Vermieter sagten, wir dürfen einziehen.

ein zweites Crowdfunding wurde gestartet für meine Kaution. und ich konnte den Umzug bezahlen und die Renovierung der alten Wohnung finanzieren und drei Monate doppelte Miete zahlen, weil ich nicht früher aus dem Mietvertrag gelassen wurde. und am Tag meines Umzuges habe ich mit einem Freund und den Kindern den LKW geholt und als wir heimkamen standen da 15-20 Menschen, die uns beim Umzug geholfen haben. die einfach da waren. die mitgedacht haben. die getragen und gestapelt und geschleppt und repariert haben. die sich für uns Zeit genommen hatten. und die Geduld hatten. und denen ich kaum genug sagen kann, wie dankbar ich noch immer bin.

auch diese Erfahrungen hatten eine heilende Wirkung. alle zusammen haben mich für einen wunderbaren Moment aus all dem Schweren gehoben und durch die Belastung hindurch geschützt.

und dann kam erst die Rechnung für eine angebliche zweite Renovierung der alten Wohnung und dann die dazu gehörende Klage. und mir half wieder jemand von Twitter mit der Verbindung zu einem Anwalt, der mir pro bono helfen wollte und geholfen hat und es hat so gut getan…bis er log.

meine Kinder waren inzwischen in der Grundschule. all das liegt in ihren und meinen Kindergartenjahren wie eine Sepiafärbung über alten Fotos.

danach wurde es leichter und dann kam Corona.

ich hatte sehr viele Gründe, daran zu zweifeln, dass es jemals gut werden kann. ich hatte aber auch zwei Gründe, zu hoffen, dass es gut werden könnte. wenn ich überlege, was ich aus all dem gelernt habe, weiß ich es gar nicht genau. ich sehe mich noch im lernenden Prozess. deswegen wiederhole ich mich hier ja auch immer wieder. es ist noch nicht rund. oder gut. oder abgeschlossen.

die Erfahrung von Ohnmacht sitzt tief. ich bin traumatisiert. ich bin schreckhafter als früher. aber ich bin auch entschlossen. ich setze mich für meine Kinder und mich schneller ein. ich halte Ordnung in Unterlagen, Abläufen und zuhause. ich bin ausgesprochen stark.

eventuell werde ich nie wieder eine partnerschaftliche Beziehung eingehen, weil ich mir keinen Menschen vorstellen kann, der oder die meine Vergangenheit mit mir aushalten könnte. aber ich vermisse auch keine Partnerschaftlichkeit. die Möglichkeit, mich auf meine Kinder, mich und meine Arbeit konzentrieren zu können, bedeutet mir sehr viel. und die Freundschaften, die ich inzwischen habe, sind vertraut, verbindlich, können Nähe und Distanz aushalten und tun mir gut. ich lerne durch diese Freundschaften immer wieder dazu. und ich darf begleiten, wenn es passt. was könnte ich mir mehr wünschen?

ich arbeite inzwischen in einem Stundenumfang, der uns wirtschaftliche Stabilität verleiht. meine Rentenpunkte sind endlich kurz vor realistischer Rente. ich kann Rücklagen bilden. und ich kann das kaufen, was wir brauchen. wir können so Urlaub machen, wie wir wollen. und auch wenn die Wohnung mit 3 Zimmern eigentlich um ein Zimmer zu klein ist, ist sie so schön und so verrückt und verwinkelt und voller Licht, dass wir hier bleiben möchten. auch wenn uns im Haus nicht alle mögen: die wichtigsten haben uns gern. und es wird geschwatzt und gelacht und einander die Blumen gegossen.

ich finde Zeit und Ruhe. nicht immer viel am Stück, aber je länger ich mir anschaue, wo Zeit und Ruhe zu finden sein könnten, desto mehr Möglichkeiten zeigen sich mir. ich war schon länger nicht mehr urlaubsreif. und ich bin nur noch selten krank. ich verzeihe mir sehr viel großzügiger, wenn ich etwas oder jemanden vergessen habe. und ich kann gelassener damit umgehen, wenn ich angepampt werde. meine Söhne sind gesund, egal ob sich der Vater an unserem Leben beteiligt oder nicht. sie vermissen nichts und niemanden. dafür habe ich Sorge getragen.

Ruhe.

Ruhe bedeutet, bei mir sein zu können. ich kann mich im Alltag nicht immer so gut wahrnehmen, wie ich gern würde. aber gerade kann ich es. ich spüre mein Leben im Rücken. die Ängste sehen jetzt aus, wie von leeren Marmeladengläsern abgefriemelte Etiketten. manche sind aus Kunststoff und würden sofort wieder kleben. aber die meisten sind aus Papier und durchs Spülen verblasst und zerkratzt. klar haben einige Kleberückstände hinterlassen. aber im Großen und Ganzen habe ich die meisten Gläser ausgekocht für neue Erinnerungen. an den Tarotgarten in Italien. an den Gotthard-Pass. an den Gornergrat. an Konzerte und Flohmärkte und an unseren geliebten Badesee. ans wunschlos auf dem Balkon sitzen oder beschwipst im Biergarten. an Sehnsucht nach unseren Freunden. an so unendlich viele doofe Witze. und an Umarmungen.

ich werde nicht mehr ewig die alten Geschichten aufwärmen. irgendwann brauche ich sie nicht mehr. gerade sind sie aber ein guter Kontrast zum Glück. der Hintergrund dessen, was mein Leben so gut macht: ich habe es gut gemacht. und Freunde haben mir das Werkzeug gereicht.

Liefs,

Minusch

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