vor über 10 Jahren habe ich mich gefragt, wie ein Film aussähe, der mein Leben zu dieser Zeit zeigt. mir war aufgefallen, dass ich sehr sehr gern in den Leben anderer Menschen herumspaziere, in Geschichten genauso gern wie in Erinnerungen. ich schaue gern in andere Gärten, Wohnungen und Dachböden. ich höre gern von schönen Zeiten, harten Zeiten, Hürden und Rutschen, die andere hatten. ich folge meinem Gegenüber in seine Gedankenwelt und liebe es, mich dort umzuschauen, ohne etwas zu verändern. so wie ich es von klein auf mag, ganz leise durch mein Zuhause zu huschen und so zu tun, als wäre ich gar nicht da.
ich habe vor über 10 Jahren damit angefangen, das aufzuschreiben, was mir geschieht, was ich erlebe, wie es mir geht. einiges hier im Blog, anderes woanders. ich habe auch versucht, sowas wie einen episodischen autobiografischen Roman zu schreiben, aber meine eigene Zensur macht es echt nicht leicht, da dran zu bleiben. und irgendwann haben die Routinen des Alltags wieder so beherzt meinen Kopf festgehalten, dass ich vergessen habe, mich zu fragen, wie ein Film aussähe, der mein Leben zu dieser Zeit zeigt.
zumal es – deswegen die Zensur – ja auch Dinge gibt, die ich nicht zeigen will. also zunächst. denn von clean-sepia-stereotyp zu unbelebt ist es gar nicht so weit und das macht es notwendig, mich selbst zu fragen: warum denn nicht?
die Staubmäuse unter unser aller Kleiderschränken sind dieselben. Wäscheberge, Stapel von „räum ich noch weg“ bis „brauch ich nicht mehr ist aber doch viel zu schade vom wegschmeißen“ machen genauso Optimierungsfragen auf wie Haare im Ausguss. menschlich. kommt vor. stört schon. und manche Menschen haben eine regelrechte Aversion dagegen.
wie menschlich will ich sein? als wie menschlich will ich erkannt werden? und wo liegt die Grenze zwischen menschlich und abstoßend?
eine Variante von „ganz leise durch mein Zuhause huschen und so tun, als wäre ich nicht da“ ist mein „Prinzessinnen-Tag“. seit ich Mutter bin, hatte ich den nicht mehr. aber ich hätte ihn gern (warum?/warum nicht?). ein Prinzessinnen-Tag war für mich meistens der Sonntag. Samstag hatte ich alles aufgeräumt und gewischt und entstaubt und refilled und in Ordnung gebracht, damit ich am Sonntag aufwachen konnte und es keine Aufgabe mehr zu tun gab. ein komplett leerer Tag für mich. im Idealfall bin ich aufgestanden und habe mich durch die Wohnung bewegt und einfach nur gespürt, was ich mir wünsche: ein Marmeladenbrot, ein Croissant, frische Luft, Freunde, Stille…so wie ich mir als Kind eine Prinzessin vorgestellt habe. ganz bei sich ohne irgendwen oder irgendwas, was sie davon ablenkt, bei sich zu sein.
diese Woche habe ich mich wieder daran erinnert. und mir einen Prinzessinnen-Moment erschaffen. einen Moment, in dem ich mit dicken Wollsocken und einer Tasse Cappuccino in meinem Oversize-Cardigan durch die Wohnung gehuscht (sic!) bin und für die Dauer dieses Moments bei mir war. die Böden waren frei, die Spüle war leer, die Wäsche war weggeräumt, die Tomaten lagen schön arrangiert auf der Platte und die Trauben und der Kürbis bildeten ein herrliches Stilleben zusammen mit der Koi-Flasche. und dann blätterte sich sowas wie ein gedankliches Passepartout auf: ein Kaffee auf dem Balkon an einem Samstagmorgen. der Griff nach meinem neuen Vargas an einem Mittwochnachmittag. der Blick auf den Papyrus neben dem Fenster. oder das Gefühl mit nackten Füßen über meinen Teppich zum Fenster zu gehen um die Herbstluft reinzulassen. ein Stück Kuchen. ein Teller Suppe. der Geruch von Regen. die beiden Tauben, die wie zwei Nymphensittiche immer zu zweit auf meinem Balkon sitzen.
würde ich dieses Passepartout in Bewegung bringen, entstünde daraus ein Film, oder nicht? ob mit Musik oder ohne, da wäre eine Frau, die sich allein durch Teile ihres Alltags bewegt und es geschieht nicht mehr als das. Staub tanzt durch den Sonnenschein. Wind rüttelt am Balkonschirm. der Kühlschrank springt um.
Leben?
schöne freie Flächen oder Staubfäden in unbeachteten Ecken? Fahrrad-fahren zwischen Terminen oder Müsli-löffeln bei der Arbeit? Thai-Lunch oder gutes-vom-Vortag hübsch verschlossen in einem ehemaligen Rote-Bete-Glas?
ich beobachte mich inzwischen so liebevoll, wie ich anderen zuhöre. immer aufgespannt zwischen zu viel und zu wenig ströme ich durch meine Tage und verpasse mit Bravour die Momente, in denen ich zu gestresst bin, um noch vernünftig zu sein. gleichzeitig kultiviere ich seit Jahren meine eigene Stille. meine Sehnsucht danach. wie glücklich machen mich Bilder von den Kuchen der anderen, überraschende Perspektiven auf deren Wege oder Entscheidungen für sich selbst. bin ich durch all das ruhiger geworden? besser? irgendwie angekommener? bin ich überhaupt geworden oder habe ich nur mein Sein vertieft? verändert sich irgendwas anderes an mir außer meinem Hormonhaushalt, meiner Haarfarbe oder die Form meines Bauchs? kann ich irgendwas verändern? sollte ich? will ich? oder übe ich nur in konzentrischen Kreisen bessere Worte zu finden für mich, um mich gern haben zu können? um mich Schritt für Schritt, ein Schritt ein Besenstrich, von dem zu entfernen, was ich als Kind habe lernen müssen, um geliebt zu werden?
könnte meine Passepartout-Filmsequenz dies abbilden? oder wäre sie darauf angewiesen, dass Menschen sie sehen, denen es ähnlich geht, um es zu erkennen? oder reicht, wie in der Lyrik, die sanfte Trübung der Leinwand aus, um Menschen zu ermöglichen, etwas ganz eigenes in dem zu sehen, was meine Lebens-Filmsequenz wäre? vielleicht Angst dort, wo ich glücklich alleine bin? oder Abkehr von meinen traurig unterm Schreibtisch vergessenen Socken? Glück in den Szenen, in denen ich gestresst ausflippe, weil sie mit ihren Ausbrüchen nicht alleine sind? oder sogar Frust, weil ich nach 6 Jahren den Kleiderschrank noch immer nicht habe reparieren lassen?
ich bin eine leise Alltagsstimme im Internet der Extreme. ich will auch gar nichts bestimmtes. meine Gedanken brauchen etwas Platz. und meine Fragen brauchen Ventile. Antworten sind obsolet, zumal sie sich mit der Zeit ändern können.
ich wäre gern sowas wie ein Spitzendeckchen von Oma für Dich. oder ein runtergespitzter Bleistift, der mal Glück gebracht hat. vielleicht der eine Löffel im Besteckkasten, der nicht zu den anderen passt. oder der Teebeutel von einem früher wichtigen Tee, den es jetzt nicht mehr zu kaufen gibt. ein Nagel in der Wand an einer Stelle, wo mal etwas Schönes hing. eine kleine Beule in der Kühlschranktür von dem Ausrutscher nach dem Lachanfall. das, was den clean-sepia-Look stört. was menschelt. was nur aus einer ganz konkreten Erinnerung heraus verstanden werden kann, für die ein Gegenüber zugehört haben muss.
Liefs,
Minusch
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