…oder panta rhei? treibe ich durch den Fluß oder bin ich der Fluß? ändere ich meine Ansicht mit dem Trend, gegen den Trend oder nach Erkenntnis?
eine dicke wolkige Wolle hängt über der Stadt. ich hatte genug Schlaf. ich halte mein Pendel ruhig. Gespräche über Vernachlässigung und Tod ebenso wie über Sushi-rollende Hunde und schlechte YouTuber. Schnaps in der down-to-earth-community genauso wie Hafermilch-Latte bei der Lesung. Erwerbsarbeit genauso wie Carearbeit. Sehnsucht genauso wie Stille.
die einen schwimmen im Eustress, zerzausen sich zwar die Frisur, haben aber ein wertvolles Ziel. die anderen zerzausen sich die Zweifel jeden Tag neu, weil sich das Ziel nicht anpeilen lässt. die einen tauchen gar nicht erst zum Luftholen auf – um Zeit zu sparen. die anderen entdecken immer wieder voll wilder Freude, dass das Auftauchen am schönsten nach dem Eintauchen ist.
am Sonntag habe ich einen Comic für Erwachsene in die Hände bekommen. eventuell ist der Hauptcharakter ein Mann in meinem Alter. eventuell ist aber auch das einzig Handelnde die Umgebung. eventuell wird er selbst gehandelt oder geführt oder an Strippen gezogen? ich habe dem Comic-Mann zugesehen. der Comic ist klein und kurz. er kommt mir wichtig vor. auch wenn ich das dort gezeichnete nicht so erlebt habe.
eine Freundin meinte, es gehe um Achtsamkeit. ich bin mir nicht sicher, ob ich das teile. Achtsamkeit hat inzwischen ein eigenes Literatur-Regal in jeder Buchhandlung. Achtsamkeit soll alles gerade rücken, das innere Kind ebenso wie die Verbindung zu etwas Größerem. egal ob das gewollt ist oder nicht, ist es gut, zumindest wenn es keine dazwischenfunkende Religion gibt. alles ist Yoga, monochrom, optimiert. und zuckerfrei.
seit Sonntag denke ich darüber nach, ob ich dem Comic-Mann hätte helfen können. also nicht als pädagogische Fachkraft mit sozialtherapeutischem Bohei. nicht als Frau. eher als Entität. kann ich helfen? würde dieser Mann Hilfe wollen? oder braucht er eigentlich diese Abkehr vom Schönen hin zu einer schweren Reduzierung auf „allein sein“?
im Comic sind viele Helfer versteckt. gute Helfer. unorthodoxe Helfer auch. ich muss mir also keine Sorgen um den Autor machen immerhin. aber hätte ich dem Mann in dem Buch vielleicht einen Kaffee ausgeben können? (ich glaub nicht, sowas hab ich noch nie gemacht) hätte ich den Mann in dem Buch anstecken können mit einem schönen Moment, so wie es bei Freundinnen gelingen kann? (sowas habe ich zwar schon gemacht, aber nie unaufgefordert)
vielleicht unterschätze ich auch die Notwendigkeit? am Ende entsteht da sowas wie Frieden. vielleicht führen unsere Wege in den allermeisten Fällen ohne Interventionen an einen Ort, an dem Loslassen gelingt. und vielleicht sind diese Orte in ihrer Seltsamkeit die Einladung, die wir brauchen, um alles Menschliche abzunicken. um in Frieden zu scheitern.
mein Sohn hat mich gestern von Herzen ausgelacht. er hat wieder angefangen zu häkeln, um nicht so viel am Handy zu hängen. es geht um eine Decke, die zu häkeln sein soll. er hat bereits mehrfach angefangen. die Decke soll schön werden. gleichmäßig.
ich wiederum hatte vor zwei Jahren ein großes Dreieckstuch verloren und habe mir überlegt, ich könnte mir ein neues selber häkeln. und ich habe auch mehrfach angefangen, weil ich das Tutorial scheinbar bis jetzt nicht genau verstanden habe. gelacht hat er dann über mich, als ich mich geweigert habe, es schon wieder aufzuribbeln. ich wollte stattdessen meine Fehler als Teil des Prozesses liebevoll betrachten und habe das kleine schiefe Dreieck vor mich gehalten.
„Mama, ich kenne niemanden, der ein Dreieck mit 5 Ecken häkelt und dabei 30 verschiedene Stitches benutzt.“
er hat Tränen gelacht. ich auch. wenn ich das Werk mit seinen Augen betrachte, hat es tatsächlich 5 Ecken. aber: es fühlt sich auch schön an. die Reihen sind kaum erkennbar. die Kanten sind krumm. die Maschen sind irgendwie wie verschwommen. vielleicht hätte ich, wie er sagte, mit Topflappen anfangen soll. aber ich brauche keine Topflappen. ich wünsche mir ein ganz großes Dreieckstuch mit Farbverlauf.
und um das tun zu können, habe ich Wolle gekauft, die Glühbirne im Wohnzimmer ausgewechselt und mir ein You-Tube-Tutorial 20 Mal mit noch mehr Stops angeschaut.
um meinem Sohn beim Häkeln nah sein zu können, habe ich Wolle gekauft, die Glühbirne im Wohnzimmer ausgewechselt und mir ein You-Tube-Tutorial 20 Mal mit noch mehr Stops angeschaut und ihn nach seiner Meinung gefragt und lass mich ab jetzt immer wieder liebevoll von ihm auslachen.
ich glaube, ich bin gut im scheitern.
Liefs,
Minusch
PS: der Comic ist „Was Du nicht siehst“ von Luke Pearson, dem Autor/Zeichner der Hilda-Comics.
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