Alles wird gut, Oida!

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liebe Eva.

seit mehreren Wochen lese ich in Deinem Buch. aber ich habe es bis heute nicht durch. es kleben ungefähr 50 Bepper in den Seiten. die Ecken sind sind verbogen, der Rücken abgegrabbelt. das Buch war schon am Badesee, in den Niederlanden, beim Barfußpfad, im Botanischen Garten…es wohnt quasi in der Nähe meines Körpers.

magst Du wissen, ob ich das Buch noch nicht durch hab, weil es mich nicht anspricht, mitreißt, begeistert, anmacht?

die Antwort ist: ich fühle mich wie in einem kosmischen Schnuppenschauer!

ich sitze auf einem parallelen Kometenbröckchen und winke Dir von dort!

das, was Du in Deinem Buch untersuchst und entdeckst und unterfütterst kann auch ich sehen! aus meiner Richtung!

der erste Bepper klebt bei „sich nicht alles von sich gefallen lassen“ (Seite 37). das war der Zeitpunkt, an dem ich beschlossen habe, endlich überall was hinzupickerln, wo ich lache/einatme/austame/den Atmen anhalte. der zweite klebt bei „Ich hab diese nervös herumflatternde innere Tante, die mich ständig warnt und sich fragt, wo welcher Hund begraben sein könnte.“ (Seite 45).

für das Bild von Seite 37 habe ich selbst ein Bild aus der Acceptence und Commitment Therapie adaptiert: „Du bist die Schüssel, nicht die Suppe“. wann immer ich dieses Bild beschreibe – meine Gefühle sind in mir und arbeiten dort, aber sie definieren mich nicht; ich bin das, in dem die Gefühle passieren – nicken Menschen um mich herum. dieses Bild kenne ich seit Jahren, aber ich bin erst jetzt in die Nähe von Verständnis gekommen. wie unfassbar ist der Handlungsspielraum, der frei wird, wenn ich mich nicht von meinen Gefühlen anschieben lasse? ich darf stehen bleiben wie ein Esel und mir denken: nö. egal, was ich fühle. es geht.

„sich nicht alles von sich gefallen lassen“ passt wunderbar, um dies zu beschreiben. na sicher schnappt da in mir immer mal wieder was über, erst recht perimenopausal. aber ich muss nicht jeder Fliege hinterherhechten. ich kann sie einfach fliegen lassen.

und diese „nervös herumflatternde Tante“, die es doch nur gut mein, die sich doch nur sorgt, die hat in mir eine Antwort auf der Postkarte, die ich vor 6 Jahren von einer Freundin bekommen habe: „Du musst mit allem rechnen, auch mit dem Schönen“. verstärkt wurde sie von einem Satz von Newt Scamander aus „Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ von JK Rowling: „Wer sich sorgt, leidet zwei Mal“. das ist genau die gegenüberliegende Perspektive auf die Tante. und mir gefallen beide Seiten unglaublich gut. die Tante mit ihrem unruhigen tun ist so schön wie der Gedanke, dass jederzeit etwas Schönes passieren könnte.

Eva, ich fühle mich umgeben von einer Hecke aus Aphorismen, Erinnerungen und Empfehlungen und dann lese ich Dein Buch und finde, abgesehen von dem Gefühl, beim Kaffeekränzchen dabei zu sein, die Gedanken einer Frau meiner Generation, die auch an diesen Themen arbeitet. da kann ich nicht schnell lesen und runterschlucken! da will ich Zeit haben, einen schaumigen Cappuccino, mein Bepperblöckchen (von der Besten zu Ostern bekommen) und Ruhe. deswegen habe ich es noch immer nicht durch gelesen.

den von Dir vermissten „zutiefst freundlichen Rückenwind“ und den „von Zuversicht durchtränkte(n), herzliche(n) Stupser“ (134) erfahre ich als den wunderbarsten Motor für die Entwicklung der Menschen, mit denen ich arbeite. eine warmherzige Unterstützung an Stellen, wo andere vermutlich meinen, das Scheitern in der Zukunft absehen zu können, ändert so vieles für einen jungen Menschen. Menschen ins Handeln zu begleiten, ist das allerschönste. nur so entstehen Baumhäuser, Hängemattenlager und Träume für harte Zeiten. ich habe das aus Trotz entwickelt auf all die Warnungen. ich reagiere inzwischen primär mit Lunte anlegen, wenn ich eine Idee wittere. warum nicht? was brauchst Du, damit es gelingt? leg los und „der Weg entsteht beim Gehen“.

„Die Latte nicht immer höher legen, sondern Dinge gern tun, weil Sachen machen schön sein kann“ (Seite 78) ist genau das, was ich diesen Sommer in einer Tiefe erfahren habe, von der ich nicht mal geahnt habe, dass ich da hin komme. ich habe so vieles entdeckt und ausprobiert und gelernt. Gespräche mit unglaublichen Wendungen, Chancen, Möglichkeiten, Erinnerungen…6 Wochen voller Endorphine, nur, weil ich gehandelt habe. weil ich frei war, ja zu sagen zu mir und zu anderen.

ich bin in dem Buch bis zu der Verknüpfung von Gedankenebene und Gefühlen mit dem Körper gekommen. dort liegt jetzt geduldig mein Lesezeichen zwischen den Seiten, weil ich mir absolut sicher bin, dass Du dort etwas formulierst, was ich vielleicht aus meiner Sicht schon kenne, aber aus Deiner Sicht nochmal veredelt bekommen könnte. nicht, weil Du die Weisheit in Person sein musst, sondern weil dem etwas zu Grunde liegt, was ich von ganzem Herzen teile: Liebe.

für die, die es nicht wissen: Eva Karel ist eine Wienerin, die herzlich gern teilt: Erfahrung, Worte, Sätze, Orakelsprüche, Yoga…angeblich teilt sie mit lieben Menschen auch Essen und Rotwein, aber das weiß ich nur aus ihrem Blog/Newsletter/Podcast. https://www.evakarel.at/ ich bin vor Jahren in ihr Blog gefallen und darin geblieben, weil ich mich absolut und vollumfänglich als Mensch verstanden gefühlt habe. ich wäre sogar fast eine ihrer Yoga-Auzubis geworden, wenn da nicht Corona reingegrätscht hätte. heute halte ich Sie für eine zauberhafte bis mitreißende Frau im besten Alter, die, wie ich, gern denkt und schwafelt und die eigene Zufriedenheit mal zärtlich belächelt und mal analytisch seziert. wir sind uns noch nie begegnet, aber durch ihre Bücher und ihr Blog kann ich mich seit Jahren immer wieder vergewissern, dass wir, obwohl wir unterschiedlich sind und völlig unterschiedlich leben, auf ähnliche Facetten reagieren.

mit diesem neuen Buch schafft Eva es, eine Antwort zu ermöglichen. sie gibt sie nicht selbst. sie führt die Gedanken durch verschiedene Schleifen und verwebt Denkrichtungen anderer Disziplinen als ihrer eigenen zu einem konsistenten Teppich, auf dem es sich warm stehen, sitzen, verwurschteln und atmen lässt. es geht nicht um happy-go-lucky oder Instagram-Trends. es geht nicht um Konsum oder Konsumverzicht. es geht nicht um Politik, Ideologie oder Perfektion sondern um den eigenen Blick aufs Mensch sein. der Charme dieser Gedankengänge liegt in der demütigen und gemütlichen Akzeptanz des eigenen Körpers und allem was in ihm ist. Akzeptanz für Aversion wie für Eskalation, für zu viel wie für zu wenig. und das Ziel ist nicht Perfektion sondern die eigene Balance (sic! Yoga) als Grundlage für Zufriedenheit.

meiner Ansicht nach gehören diese Gedankengänge in diese Zeit wie KI und Instagram. wir brauchen wieder Lehrerinnen und Lehrer, die uns dabei begleiten, jenseits von Optimierung eine Basis zu bestellen, die uns entlastet, ohne uns aus der gesellschaftlichen Pflicht zu entlassen. es gibt eine Überzahl an Themenbereichen, die alle Relevanz für unsere Zukunft haben. aber: nicht jeder von uns muss alle Themen bearbeiten und Verantwortlichkeit beginnt nicht bei „all in“ sondern bei „commitment“. es reicht, im vermeintlich Kleinen zu handeln und von dort die Revolution hin zu mehr Rücksichtnahme anzuzetteln. es reicht, mit dem zu arbeiten, was ich habe, um die Welt besser zu machen. es reicht. ich bin genug. und das Glück, das ich teile, ist viel ansteckender als introspektiver Striptease. Yogaerfahrung ist keine Vorbedingung für dieses Buch. aber möglicherweise wird Yoga danach eine Idee sein, die zur rechten Zeit im Kopf aufpoppt.

meine Empfehlung für den Sommer:

  • trefft liebe Menschen
  • lacht
  • kocht Obst ein
  • geht schwimmen
  • lest „Alles wird gut, Oida- nicht deppert werden in wilden Zeiten“ von Eva Karel

liebe Eva, es ist mir eine Freude, Deinen Gedanken zu folgen. mit jedem Buch turne ich Dir so gern gedanklich hinterher und genieße jeden Nachbrenneffekt. sicher sind nicht alle Erkenntnisse gleichermaßen schmeichelhaft wie die Beschreibung einer neurotischen Haltung als „nervöse Tante“, aber sie bringen mich immer wieder auf einen Weg, auf dem ich sehr gern bin. durch die Arbeit an Deiner Arbeit, habe ich mich noch nie von mir entfernt. das ist nicht selbstverständlich.

Danke, dass ich das Buch lesen darf und darüber schreiben. ich wäre gern in der Lage, Dir als Antwort ein ganzes Buch zu schreiben, in dem ich jedem Deiner Sätze meine gegenüberstelle um zu schauen: Zeitgeist, Grille oder Weltwissen?

Liefs,

Minusch

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