mein Großer liebt alles, was zart ist. er tobt auch und rauft und rennt. aber er liebt es, Bilder zu malen, Briefe zu schreiben, zu dekorieren, zu backen, kochen, nähen, basteln…sein Bett hat ein Himmelchen mit Lichterkette, weil er unter anderen Umständen sein Babybettchen nicht hergegeben hätte (so ein ovales mit Himmelchen). er entscheidet sich eher für Rosa als für Blau und seine Lieblingsfarbe ist Violett.
sein Papa und ich registrieren dies. alles. vor allem der Papa. für ihn ist das alles nicht ganz einfach. er möchte ihn zum raufen ermutigen, aber wenn der Große dann lieber die Schmetterlingsflügel rausholt, spüre selbst ich, wie es in Papa arbeitet. das „ja“ zum Prinzessinnenkleid hat mich daher Anfang Januar sehr überrascht. wir sind uns einig, dass wir unsere Kinder in ihren Wünschen und Ideen unterstützen, aber einem Jungen ein himbeerrotes Kleid mit Armstulpen, Webpelzchen und Pailletten zu kaufen ist dann doch eine andere Hausnummer.
mein großer Sohn sprach 3 Wochen lang von dem Kleid. dann war auch ich mir sicher, dass er es sich wünscht. es hätte ja auch einfach die farbliche Diskrepanz zwischen den tristen Jungverkleidungen und den strahlenden Mädchenkostümen sein können. nein, er wollte Prinzessin sein, obwohl das normalerweise Mädchen sind.
wir probierten das Kleid an und ich schoß ein dermaßen berührendes Bild von meinem Sohn, in dem Moment, als er sich mit Krönchen zum Spiegel umdrehte, dass für mich alles geklärt war. also: sein Wunsch war in meinem Herzen angekommen und abgenickt und meine letzten 25,- im Januar bezahlte ich für sein Kleid.
heute morgen war der große Tag da, auf den er gewartet hat: Kinderfasching im Kindergarten. und mir wurde heute morgen erst bewusst, dass ich ja nicht bei ihm sein werde. ihm wurde es auch bewußt und er wurde ganz still und unsicher…und ich frage mich immer noch: spürt er unsere anerzogene Ambivalenz oder ist es einfach das Kostüm an sich? hätte er auch das Tigerkostüm mehrmals ausgezogen? Papa unterstützte ihn mitKomplimenten und eigenen Karnevalserfahrungen (wobei ich mir sicher bin, dass er nie verkleidet war).
der Weg vom Fahrrad bis zum Gruppenraum ging langsamer als sonst. er hob seine Röckchen hoch, obwohl ich nicht gesagt habe, dass er das soll. er achtete von sich aus auf sein Kleid. im Haus musste ich meinen Sohn an der Hand halten. und erst, als seine Bezugserzieherin (komplett in seiner Lieblingsfarbe Violett angezogen – ich liebe diese Frau!) strahlend auf ihn zukam, löste sich in ihm etwas. dann kamen die drei großen Mädchen aus seiner Gruppe auf ihn zu und bestaunten sein Kleid und berührten mit zarten Fingern sein Glitzerherz auf dem Kleid.
dass mir die Tränen kamen, kann sich jeder denken, der/die dies hier liest. ich bin so dankbar für diese Kindergartengruppe. alle Erzieherinnen waren ehrlich hingerissen von ihm. und die Mädchen, die die Gruppe im Bereich soziale Kompetenz regelrecht führen, waren ganz zart mit meinem Sohn.
ich ging. ich ließ einen kleinen Jungen im Prinzessinnenkleid dort.
und die Tränen stiegen in mir hoch. ich spüre meine Stereotype und nehme sie ernst. denn meine sind ja schon reduziert, aber sie zeigen mir klar, welche Bilder in den anderen Erwachsenen aufsteigen können. ein Vater meinte, dass er für uns hoffe, das unser Sohn nur einmal so einen Prinzessinnenkleid anhaben wollte. er zog dabei lächelnd seine autistische Tochter im Clownskostüm mit sich.
mein Junge hat sich verkleidet. er wünschte sich ein Kleid. es war sein Wunsch. keine Aussage über sexuelle Präferenzen und keine Einladung zur Gender-Debatte. er ist ein Junge. er nennt sich Junge. heute nennt er sich Prinzessin. that’s it.
seiner Mutter ging es ähnlich: ich war im Kindergarten Bandenchef. auch in der Schule gründete ich eine Bande. als ich Ronja Räubertochter sah, wurde sie mein Idol, und ich sah aus, wie Birk Borkason. im Gymnasium nervten mich die vielen Esprit-Mädchen in Pastelltönen. ich kaufte Schuhe in der Herrenabteilung, trug Herrenhemden mit T-Shirt drüber und besorgte mir in London eine fake-Barbourjacke und einen Hut mit Blume. als SozPäd nutzte ich meinen Arbeitsfreiraum und nervte die Kinder auf der psychosomatischen Station damit, dass ich ab und zu einen Vogel auf einem Haarreif trug und den ganzen Tag sang, dass ich einen Vogel hab (…die zwei depressiven Kinder lachten sich kaputt…es war ein Riesenspaß für uns).
ich verkleidete mich als Vampirin für ein LARP. ich färbte mir die Haare grün, um als Momratz zu einer Disneyparty zu gehen (das Grün ging nicht mehr raus und ich saß anschließend mit der Frisur in einer Vorlesung zum Gottesbeweis im Wandel der Zeiten). in meinen ersten drei Semestern SozPäd hatte ich orangene Haare und wurde nur deswegen zur Semestersprecherin gewählt. ich ließ mir von Mitbewohnerinnen die Haare schneiden. ich ging in Korsage und Tüllrock auf eine SM-Party. ich nähte mir ein Goldbeere-Kostüm, weil mein damaliger Freund als Tom Bombadil zum Umzug gehen wollte. ich war auch ein Spice-Girl mit Glitzertop als Opener einer Jugendverbands-Konferenz. ich ging als Tom Cruise zu einer change-your-sex-Party. und ich trug Baggies und einen Hoodie, als ich mit einer Freundin im durchlöcherten Schlauchkleid in einer Dorfdisco tanzte.
ich weiß, dass ich Welt damit etwas zumute. ich war mir immer im Klaren, dass mich sowas in den Augen anderer diskreditieren kann. gleichzeitig gibt es in mir aber auch den Drang, all den geregelten Menschen ins Gesicht zu schauen und laut zu lachen. ich balanciere zwischen Mainstream und Nerdcomunity. ich hatte immer geekige Freunde. schwule Programmierer, Goths, Dichterinnen, Filmerinnen, Musikfreaks, Theatertypen.
ich habe mich nie für eine Seite entschieden. und meine Kinder müssen das auch nicht.
„Gold
Always believe in your soul
You’ve got the power to know
You’re indestructible
Always believe in, that you are
Gold“ (Spandau Ballet)
Liefs,
Minusch

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