achja, die Erziehung. achja, ihre Namen. achja, ihre Anhänger*innen…
ich hab gerade einen Artikel dazu gelesen und schon länger ein paar Hints aufgeschnappt, nachdem es wieder ein neues Stichwort dazu gibt (aktuell „unerzogen“) und wieder rümpfe ich ein wenig die Nase, wundere ich mich wieder über die Wut dabei und frage mich: was haben Menschen eigentlich von dieser Abgrenzung? ich meine, für Teenager ist es entwicklungsinhärent. aber wir sind doch inzwischen keine Teenies mehr (wobei ich den Teenie-Eltern nicht auf den Schlips treten möchte; sie wissen selbst am besten, was sie noch von den nicht mehr Teenie-Eltern unterscheidet).
ich plaudere mal aus meinem Nähkästchen…
nö, ich erziehe meine Kinder nicht. frei flottierend und multifaktoriel orientiert entscheide ich immer wieder neu, wie meine Interventionen aussehen. gleichzeitig bin ich eine 24/7-Pädagogin. ich kann meinen Kopf nicht abschalten und ich kann nicht so tun, als wüsste ich bestimmte Dinge nicht. Pädagogik und Erziehungswissenschaften hängen nur etymologisch irgendwie eng zusammen, erziehe ich also doch und nenne es nur anders?
ganz klar: ich kann keiner Richtung fest folgen. in manchen Punkten fehlen mir Ressourcen und in anderen Geduld und in wieder anderen die Überzeugung. nein, ich kann nicht arbeiten, wenn meine Kinder bei mir sind. nein, ich kann nicht auf Autorität verzichten. nein, ich kann auch nicht aufs laut-werden und schimpfen verzichten. nein, ich glaube nicht an reine Nachahmung. nein, ich kann nicht auf meine Selbstbestimmung verzichten.
mir ist klar, dass keine pädagogische Richtung allein-seelig-machend ist. selbst Jesper Juul hat in meinen Augen ein paradigmatisches Problem mit der Geschlechterzuweisung, weswegen ich ihn auch sonst in Frage stelle und niemals in ein Family-Lab gehen würde. nichts desto trotz finde ich sehr wichtig, dass er so laut ist und eine Perspektive vertritt, die die Eltern nicht aus dem Blick verliert, denn:
auch wenn wir Eltern werden: wir bleiben Individuen, die ihre eigenen Sehnsüchte, Ideale und Möglichkeiten mit sich bringen.
es gibt Menschen, die sind in sich sehr ruhig. manche würden sie als introvertiert bezeichnen oder zurückhaltend. wenn diese dann noch eine warme und zarte Stimme haben, klingt das meiste, was sie tagsüber sagen, irgendwie ruhig. wenn aber der betreffende Mensch eine kräftige Stimme hat, vielleicht auch noch groß ist und mit dem eigenen Temperament arbeitet, klingt vieles, was dieser Mensch macht, irgendwie laut. sowas kann nicht Grundlage einer Pädagogik sein!
wenn ich die Ressourcen habe, meine Kinder alleine groß zu ziehen, dann können diese vielleicht jeden Tag ausschlafen und selbstbestimmt essen und vielleicht sogar den Alltag unter Aufsicht mit regeln. ich stelle mir das schön vor. aber leider muss ich beispielsweise arbeiten. immerhin nicht Vollzeit, aber mehr als eine halbe Stelle doch. außerdem wäre da der Haushalt, meine Sehnsucht nach Yoga, mein Wunsch, ab und zu Filme zu schauen, zu bloggen und und und…schon muss ich den Alltag so gestalten, dass meine Kinder UND ich die Bedürfnisse gestillt bekommen. das heißt, dass wir alle Abstriche machen müssen vom Ideal. und jetzt zeige mir jemand ein Kind, das sowas locker wegsteckt, und eine Mama, die das elegant und stressfrei löst. manchmal gelingt mir das sogar. das sind dann meine Familien-Sternstunden. aber normalerweise gibt es Hürden, über die wir dann drüber müssen und schwups sind wir im Bereich der Improvisation.
Pädagogik zuhause funktioniert nur über Beziehung und Improvisation!
pädagogische Einrichtungen können eine mehr oder weniger Reinform pädagogischen Handelns halten, weil vom Handeln die Bereiche Verwaltung und Vorbereitung abgekoppelt sind. Pädagoge*innen können sich häufig im zeitlichen Rahmen ausschließlich um pädagogische Aufgaben kümmern und vor allem auch immer wieder gehen (!). dadurch eröffnet sich ein gänzlich anderes Handlungsspektrum als Eltern es haben!
Eltern können das nicht. wir hängen immer gleich ganz drin. wir haben keinen Abstand zu uns, können unser Verhalten nur bedingt allein reflektieren und haben meist keine Kolleg*innen, die einspringen, wenn wir an die Wand gefahren sind. wir haben keine Supervision für komplizierte Entwicklungsphasen, kein Catering, keine Leitung, keine Putzkraft und keinen Urlaub. Eltern sind keine Profis. also, sie sind Profis für ihr Leben aber eben keine Profis für Pädagogik.
Leute, ihr könnt mir erzählen, was ihr wollt: Eltern können nur im Rahmen ihrer eigenen Vorstellung von Pädagogik pädagogisch Handeln und müssen den Rest eben aus dem Ärmel schütteln. die einen ziehen ihre Erkenntnisse für ihren Spielraum eben aus Pop-Ratgebern. andere aus ihrer Intuition. wieder andere aus wissenschaftlicher Literatur. und dann gibt es noch welche, die einfach tun, was ihre Eltern getan haben (mit Modifikationen und mit Orientierung am status quo).
es lohnt sich kein bißchen, einander zu vergleichen.
das Kindeswohl ist erst dann gefährdet, wenn es gefährdet ist. nicht vorher. kein Mensch verpasst seinem Kind einen Schaden, weil er der falschen pädagogischen Denkrichtung anhängt oder nicht zu 100% durchzieht, was irgendein Pädagogik-Guru sagt. im Gegenteil: Menschen, die sich mit dieser Form von Interesse an die Metaebene des eigenen Handelns heranwagen, suchen Lösungen für den Alltag außerhalb ihrer selbst und sorgen so für Kreativität im Handlungsspektrum. in meinen Augen ist das prima!
mein Handeln gegenüber meinen Kindern ist meine Angelegenheit. ich halte dann Grenzen, wenn ich diese für wichtig halte (völlig wurscht ob die jetzt als aggressiv oder defensiv definiert werden können). ich greife nicht in die Persönlichkeit meiner Kinder ein, aber ich lege Wert darauf, dass sie eine Vorstellung davon bekommen, was in dieser Welt auf sie wartet: nämlich kein Bullerbü sondern eine aktuell kapitalistisch tickende Leistungsgesellschaft mit einem aktuell völlig veralteten Schulsystem.
gibt es eigentlich irgendwo Artikel über die pädagogischen Lücken zwischen Krabbelstube und Kindergarten und Kindergarten und Grundschule und Grundschule und weiterführender Schule?
gut, die Kindergärten haben viele Anknüpfungspunkte zur Krabbelstube im Tagesablauf. aber die plötzliche Gruppengröße ist nicht für jedes Kind ein Geschenk. noch viel krasser ist allerdings der Wechsel vom Kindergarten zur Grundschule:
freies Spiel vs. Stillsitzen
„ich helfe dir“ vs. „das solltest Du aber können“
„alles ist irgendwie gut“ vs „dies ist richtig und das ist falsch“
können wir uns angesichts eines solchen Unterschiedes überhaupt unerzogene und rein selbstbestimmte Kinder erlauben? sind wir dann Pioniere, oder vielmehr unsere Kinder (!), wenn wir jede Form des „Formens“ ablehnen und das Wohl des Kindes darüber definieren, wie viel es selbst entscheiden kann? machen wir ihnen ein Geschenk, wenn sie mit den Eltern zwar ergebnisoffen diskutieren können, dann aber in der Grundschule nicht mehr (ja, ich finde, das wäre gegenüber 25 Kindern wirklich zu viel verlangt)? was passiert eigentlich mit den Kindern, die aus eigenem Interesse schon mit 5 anfangen zu schreiben, wenn sie in die Grundschule kommen mit Kindern, die nicht mal die Sprache einwandfrei beherrschen? und wie wichtig ist der Schulweg für meine Kinder wirklich angesichts steigenden Verkehrs in den Städten? und wie brenzlig sind die Schulweg-Uhrzeiten, zu denen viele Kinder noch nicht fit sind, weil sie bisher immer erst um halb neun aufgestanden sind, um unterwegs noch ein Brötchen von Mama/Papa gekauft zu kriegen oder gleich ganz im Kindergarten zu frühstücken?
also diese Fragen sind für mich alle ergebnisoffen, weil ich keine Antworten darauf habe. es sind meine Gedanken zum Thema Pädagogik. meine Alltagsreflexion. wie deale ich mit der Umwelt meiner Kinder? worauf bereite ich vor? was überlasse ich ihrer Neugier? mal ganz davon zu schweigen, dass ich keinen gleichbleibenden Energiepegel habe und dementsprechend immer wieder hinter meinen eigenen Ansprüchen zurückbleiben muss, um nicht durchzudrehen.
was ich damit sagen will: STOP COMPARING!
es macht viel mehr Sinn, gemeinsam die Umwelt zu formen, so dass diese kinderfreundlicher wird, als sich als Eltern gegenseitig ans Bein zu pullern. so wie wir eigene Vorstellungen von Familie und Beziehung haben so eben auch von der Begleitung unserer Kinder. und welches Wort wir jetzt benutzen, um unsere Haltung auszudrücken ist auch gerademal völlig wurscht, solange wir kein Konzept unserer Arbeit festlegen müssen. (und ich wünsche echt niemandem, dass er/sie so etwas tun muss, denn pädagogische Konzepte zu schreiben ist mal so richtig mühselige Arbeit).
bleibt eklektizistisch! sucht euch aus, was zu euch passt! lasst pädagogisches Wissen nur von den Leuten in euren Kopf, die ihr gut findet (was da einmal drin ist, verschwindet nicht so schnell)!
und denkt niemals, ihr wüsstet, was in anderen Familien vor sich geht: das erkennt ihr nur, wenn ihr beobachtend 3 Monate da drin sitzt und Eure eigene Gefühlswelt dabei allenfalls eine Kompass-Rolle hat. alles andere wäre komplett vermessen und vor allen Dingen schadhaft für die andere Familie. wenn Profis sowas nicht machen, warum dann Laien? hm? richtig: bringt nix außer einer Ventilwirkung für die eigene Unzufriedenheit und ein Abgrenzungsmoment. und das sollte doch jeder wirklich finden können, ohne dafür andere schlecht machen zu müssen.
ich bin übrigens immer noch der Meinung, dass ich nicht erziehe. ich mag das Wort nicht. ich begleite. wie eine Bergführerin. ich sehe manche Gefahren voraus und warne dann. und wenn die Warnung nicht gehört wird, agiere ich. ich vermittle Wissen für den Weg. und ich greife beherzt zu, wenn meine Kinder drohen abzustürzen. call me Sherpa. das würde mir gut passen.
liefs,
Minusch
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