Samstagmorgen. 6 Uhr. es ist so still.
gestern morgen habe ich meine Kinder in einen Kurzurlaub bei den Eltern ihres Vaters verabschiedet. und seit dem bewege ich mich durch eine harte Brandung. ich werde immer wieder ins Meer gerissen, schaffe es triefend nass zurück an den Strand und schaue doch wieder hinaus in die Weite bis ich erneut hineingerissen werde.
es gibt so viele Sätze für solche Situationen. „Du schaffst das“, „Das ist richtig so“, „Wir wachsen an unseren Aufgaben“, „Es ist das Beste für Euch alle“, „Da muss Ruhe reinkommen“…
nun starre ich auf den Bildschirm und in mir brodelt das Meer. ich möchte so gern kotzen. ich möchte etwas zerstören. ich möchte irgendwen zur Rechenschaft ziehen für den Scheiß, der sich in mein Leben geschlichen hat, ohne mich zu fragen. ich glaube nicht an Schicksal. ich glaube auch nicht an metaphysische Schuld. ich glaube an kein Wesen, das mir Prüfungen auferlegt (ey, sorry, das ist ein so dermaßen masochistischer Gedanke). ich glaube an Liebe. und an solchen Scheidewege spüre ich nur wieder, dass die Menschen, die mir so lange eingebläut haben, sie seien meine Familie und Blut sei dicker als Wasser, damit wohl etwas anderes gemeint haben, als ich damals verstanden hatte.
andere fliehen nach einer Trennung zu ihren Eltern. dorthin können sie die Kinder mitnehmen und eine Weile Wunden lecken. oder sie fahren zu einer Freundin. oder die Freundin kommt her. oder die Eltern nehmen für einen Abend die Kinder…
hier ist es so, dass er mit den Kindern zu seinen Eltern gefahren ist (sic). und ich zittere seit dem Abschied von den beiden. ich zittere aus so vielen Gründen, die ihre Wurzeln in verschiedenen Zeiten meines Lebens haben. es ist gut, dass ich jetzt alleine hier sein kann. dass ich schreiben kann. dass ich aufs Meer sehen kann. und gleichzeitig ähnelt es meinem Alptraum von Einsamkeit doch zu arg.
als ich gestern morgen weinend an der Bushaltestelle stand, spürte ich die Nähe zu meinem toten Kind. dem Kind, das in seinem Leben für zwei Nächte bei mir war. zwei schlaflose Nächte. ich hatte mein Kind für zwei Nächte bei mir. er war wach. er schaute mir zu. wir waren so allein. ich telefonierte mit der Telefonseelsorge. beide Nächte. und jetzt erlaube ich in einer so sensiblen Phase wie dieser, dass meine Kinder wegfahren? für 4 Nächte weg von mir? die einzigen zwei Menschen auf der Welt, für die es sich lohnt, alles aufzugeben. diese beiden sind jetzt bei Menschen, die nicht in Liebe an mich denken oder freundlich von mir sprechen, sondern mich nicht leiden können. die Kinder bekommen dort Geschenke. sie erleben hoffentlich Abenteuer.
und ich kann kaum denken vor Schmerz.
da helfen auch keine Gedanken an das Loslassen-üben. ich hab doch gerade Losgelassen. ich habe meinen Traum von einer Familie als Vater-Mutter-Kind losgelassen. ich habe Sicherheit losgelassen. Hoffnung habe ich losgelassen. ich kann gerade nicht auch noch üben, meine Kinder loszulassen. ich weiß nicht, woher ich diese Kraft nehmen soll.
ich soll mich ablenken. ich war gestern beim Friseur. extra deswegen. ich hätte nicht gehen sollen.
ich habe mir für heute vorgenommen, zum Baumarkt zu fahren um Materialien für eine Tafelwand zu kaufen und gleichzeitig habe ich Angst, zu viel Geld auszugeben, weil es ja jetzt schwieriger wird. ich muss noch den Telefonanbieter auf meinen Namen umstellen, book-n-drive wieder auf meinen Namen umstellen, meine Ausgaben durchdenken…und ich wollte singen zu hause, aber mein Hals kratzt und ich habe Husten. ich wollte tanzen, aber jede Bewegung macht mich traurig.
und wieder reisst eine Welle an meinen Klamotten. wozu all diese Schmerzen? was soll ich damit? ich hab doch schon so viel verloren in diesen 38 Jahren. ich habe mehr Worte für Schmerz als ganze Völker für Schnee. ich kann den Schmerz aus kindlicher, pubertärer, studentischer und mütterlicher Seite beschreiben. ich kenne Armut und Angst so gut, dass sie mich nie wieder verlassen werden.
ich sitze auf meinem Bett. ich blicke hinter mich. die ganze Woche hatte ich mich auf das Wochenende gefreut. ich hatte diese Schmerzen und vor allem ihre Verkettung unterschätzt. ich habe nicht mehr gespürt, wie arg ich mich im Alltag zusammenreisse. wie weit entfernt ich von mir bin. ich habe es aus dem Blick verloren. ich stehe triefend nass am Strand und kann nicht vor und nicht zurück. hinter mir eine Felswand, vor mir das Meer. dunkle Wolken. Hoffnung auf Land. irgendwo. hinter dem Ende der Welt, wie sie war.
ich vermisse ein Wesen, das sich ruhig über mich beugt, mir die Stirn küsst und mir sagt: „Schlaf jetzt, Kleines…schlaf und träum…und wenn Du aufwachst bin ich noch immer bei Dir und halte Dich fest, denn tapfere Menschen müssen festgehalten werden, wenn sie schlafen“
und ich vermisse meine Kinder, um dieses Wesen für sie zu sein.
Ruhe. ich wünsche mir Ruhe für mein Herz. ich möchte meine Kraft endlich ganz in die Liebe legen können ohne mich verteidigen zu müssen. ich möchte keine Angst haben. ich möchte in Ruhe sein. ein Boot. ich möchte ein Boot sein für meine Kinder und mich. ich suche niemanden mehr, der mir dabei hilft. ich brauche nur Ruhe für uns. und Sicherheit. und auch das werde ich alleine schaffen müssen, obwohl ich es nie alleine schaffen wollte.
liefs,
Minusch
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