keine Sorge, liebe Anna-Luz, ich hab die Debatte um Deinen Text nicht verfolgt. ich möchte dem nur etwas gegenüberstellen, denn: ich höre das Lied von Max Giesinger anders als Du. und da ich weiß, dass unsere Diskurse nicht besser werden, wenn wir uns nur gegenseitig abfeiern, mach ich mal contra-Piep hier auf der Südwest-Nordost-Achse.
das Lied „wenn sie tanzt“ von Max Giesinger erzählt von einer Mama, die träumen will. die eine dichte Woche hat. die im Tanzen eine Freiheit erfährt, die sonst nicht möglich ist, weil sie ja Mama ist. eine Mama, die gerne daten möchte, sich hübsch machen möchte, sich aber nicht so recht traut.
die Frau, die in diesem Song beschrieben wird, entspricht der perfekten Mutter, die auf alles verzichtet, um ihre Kinder versorgen zu können. sie sucht ihre Erfüllung in etwas so harmlosen wie Tanzen-mit-Kopfhörern. etwas, was sich noch recht gut mit dem Leben als (wahrscheinlich alleinerziehender) Mama vereinbaren lässt.
die Tiefe der beschriebenen Träume gepaart mit dem dynamischen Klang lässt eine Idee von Sehnsucht entstehen. dieser Frau fehlt etwas, was sie notdürftig kompensiert. etwas, was sie nicht notdürftig kompensieren müsste, wären da keine Kinder. die Kinder stehen zu keinem Zeitpunkt in Frage. sie kompensiert. sie tanzt mit Kopfhörern. keine Revolution. die perfekte Mutter.
ja, mir wird auch schlecht, wenn ich darüber nachdenke, denn: wenn es eine Sehnsucht gibt, dann bedeutet das, das etwas fehlt. und das, was da zu fehlen scheint, ist mehr, als sich manche Mama in tragfähiger Beziehung vorstellen kann. es ist nicht die Freiheit. es ist auch nicht das Wilde, Kichernde, Mädchenhafte, Abenteuerlustige. es geht nicht um etwas, was ich mir an einem Abend mit den Mädels zurückholen kann. es geht um etwas Größeres.
es ist auch keine Frage, ob die Kinder besser nicht da wären. das Lied stellt diese Frage nicht. das Lied beschreibt eine alltägliche Situation inklusive gesellschaftlicher Erwartungshaltung plus Resignation eines einsamen Menschen.
die Traurigkeit dieses Liedes liegt nicht darin, dass diese Frau frei wäre, wenn sie keine Kinder hätte. die Traurigkeit liegt darin, dass sie ihre Freiheit nicht spüren kann, weil sie (wahrscheinlich) gezwungen ist, einen Alltag zur leben, den sich niemand wünschen kann. niemand will 50h/Woche arbeiten. niemand will auch nur Vollzeit arbeiten und dann noch für die Kinder kochen. niemand will alleine für Kinder sorgen, alleine den Erwerbspart rocken und alleine den Haushält führen. wir wollen das zusammen mit anderen Menschen tun. wir träumten alle von Familien, verlässlichen Partnerschaften und dem ewigen Glück, als wir schwanger waren. die meisten von uns erinnern sich an das High nach der Entbindung. wir alle waren ergriffen und überrollt von dem Gefühl der Verantwortlichkeit angesichts eines kleinen Menschen im Arm.
die Traurigkeit dieses Liedes liegt in der Alltäglichkeit. in der Selbstverständlichkeit. in der Selbstaufgabe, in die viele (vor allem) Frauen gezwungen werden, wenn die Beziehungen scheitern und sie (gefühlt) übrig bleiben. welche Frau verlässt aus Lust und Laune ihren Partner und will alleine mit den Kindern leben? welche Frau will das angesichts einer solchen Realität? welche wagt es? ist es nicht leichter, mit Partner auf alles zu verzichten, was mich glücklich machen könnte, als ganz alleine?
ja, es gibt Frauen, die in der Mutterrolle aufgehen. ich zähle mich dazu. wer mich und meine Kinder erlebt hat, der hat ein Phänomen erlebt: wir sind ein Team. das ist sichtbar für jeden. ich gehören zu meinen Kindern, wie sie zu mir und ich ärgere mich richtig, dass ich nicht sagen kann, dass die Beziehung zu deren Vater der Fehler meines Lebens war, denn ohne diese Beziehung gäbe es die beiden nicht. es steht außer Frage, dass wir eine Einheit sind und bleiben.
und doch atme ich tiefer, wenn ich Ruhe habe. und doch möchte ich tanzen gehen, weil tanzen zu gehen mich auf eine andere Art glücklich macht als mein Mama-sein. und doch möchte ich mir den Kopf heißreden mit Männern wie Frauen und zu jedem Thema, das mir auf der Seele liegt. und doch möchte ich Theater machen, Rezepte ausprobieren, reisen, Menschen treffen, Sex haben, kopflos sein, zu spät kommen…
vor mir liegt mein Weg, das, was möglich ist, mit meinen Kindern auszuprobieren. unsere Grenzen auszutesten. unsere Rituale zu finden. aber dazu wird immer gehören, dass ich auch alleine existiere. dass ich genauso viel nicht-Mama wie Mama bin. dass mein Glück nicht steigt, wenn ich eines gegen das andere abwiege. auch ich tanze noch mit Kopfhörern. noch.
die Frau in dem Giesiniger-Song hat aufgegeben. sie ist traurig. und das gibt sie ihren Kindern weiter. sie hat keine Zeit und keine Kraft, sich um sich selbst zu sorgen. in Partnerschaften können Menschen sich abwechseln. eins kann fürs andere in die Bresche springen. in alleinerziehenden Familien ist das nicht möglich. wer soll einspringen, wenn niemand da ist?
liebe Anna, ich kann mir vorstellen, wie Du Dich bei dem Gespräch mit Deinem Sohn gefühlt hast. ich kann die Wärme selber spüren, dieses Goldkribbeln im Bauch, diese Mischung aus Stolz und Verwunderung gegenüber diesem jungen wachen Kopf. sag Deinem Sohn bitte ganz liebe Grüße von mir: es geht den wenigsten dieser von ihm erwähnten Mamas darum, wirklich ihre Kinder nicht mehr bei sich zu haben. es geht darum, sich selbst bei sich zu haben. und dieser Verlust des eigenen Selbst ist das wirkliche Drama an unserer heutigen Zeit. sag ihm, dass ihr Glück habt, so leben zu können. dass sich so ein Glück ganz viele Menschen wünschen. dass es aber auch anders möglich ist, glücklich zu sein, selbst wenn wir es uns anders gewünscht haben. dass es uns allen besser geht, wenn wir alle offen miteinander umgehen, unsere Lebensentwürfe respektieren und einander helfen. und sag ihm, dass eine Mama, die gerne ausgehen will, die tanzt, die Königin in ihrem Leben ist, weil sie so ihren Kindern zeigt, dass ihre Liebe zu sich selbst so wichtig ist wie ihre Liebe zur Familie.
liefs,
Minusch
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