der Rhythmus ist gesetzt.
seit bald einem Jahr schlafe ich mit den Kindern ein und wache vor ihnen auf. Abweichungen sind möglich, wenn nötig, werden aber selten gebraucht.
so vieles ist jetzt anders.
ich bekam heute Blumen. ein wirklich witziges Gebinde. einzelne Blüten in Miniatur-Milchfläschchen. herrlich absurd und ich sehe bereits jetzt die Möglichkeiten für danach.
wichtig ist:
ich bekam die Blumen nicht, weil sie im Büro zu viel waren. oder weil etwas Besonderes war. ich bekam sie…ja…ich weiß gar nicht. ich hab dafür nichts getan.
und das ist der Punkt, an dem ich steh. ich fühl mich dem Leben fremd. beruflich reflektiere und analysiere ich herum und privat steh ich vor einem Rätsel, das nicht kleiner zu werden scheint. dabei bin ich derselbe Menschen nur mit weniger Abstand. es ist nicht belastend. nur seltsam, finde ich. Menschen folgen Regeln, die ich nicht verstehe. Menschen treffen Entscheidungen, die ich nicht verstehe. Menschen setzen Prioritäten, die ich nicht verstehe. Menschen sind gekränkt, wenn ich schreibe, dass sie mir weh getan haben…ich kapiers nicht.
ich kann mich damit rausreden, alles besser zu wissen. haha. voll gut. hilft gar nichts.
ich kann mich damit rausreden, alles falsch zu machen. bringt auch nix.
ich kann die individuelle Situation verstehen und trotzdem klar sein und ehrlich und verliere dennoch Menschen, die ich für (mögliche) Freund*innen hielt. sind die dann alle die Falschen gewesen?
„he, Du, wenn Du nicht erträgst, dass ich Dir sage, dass Du mir weh getan hast, dann bist Du falsch.“ ist das richtig?
und kann ich das anders herum aushalten? ist das produktiv? oder passt die Ausrede nicht immer bei einsamen Menschen? wenn Du mich nicht magst, dann bist Du falsch? erledigt.
ich mag den Vers „it’s not meant to be a strife. it’s not meant to be a struggle uphill“ („undo“ von Björk). ich versuche danach zu leben, aber kann es selbst nicht immer glauben. und gleichzeitig ist mein sozialer Rückzug gerade eine Konsequenz daraus.
Twitter wurde mir zu hart. vielleicht war es das schon immer, aber so richtig gespürt habe ich es erst dieses Jahr. an verschiedenen Stellen. auf unterschiedlichen Ebenen. selbst diese überkochende Freundlichkeit ist mir zu hart. ich kam mir manchmal vor wie eine Cheerleaderin. nicht, dass ich je so Pompoms besessen hätte, aber dieses angesetzte Lächeln der Siegerin und die affektierte Kleidung aus Highschool-Filmen reichen ja aus, um dieses Bild benutzen zu können.
was mich kirre gemacht hat: „he, Du bist zwar allein, aber wir sind doch da…“
öhm, ja, naja. ja eben nicht. aber der Satz beinhaltet nicht nur das lokale Dilemma (Mensch, auf twitter sind ja alle so weit weg…wie blöd…naja, muss ich nichts machen, kann ja nix dafür. und für manche sind 60km sehr wohl sehr weit!) sondern auch den Anspruch „Madame, wenn Du nicht spüren kannst, dass wir Dir durch diese Pixel ganz viel Nähe schicken, dann bist Du entweder psychisch krank oder ein Arschloch“.
ja, ich bin daran ein bißchen verzweifelt dieses Jahr. an meiner eigenen Sehnsucht nach Nähe, an der Einsamkeit, die zu schnell zu massiv war und das alles in einem Zustand, in dem ich mein Leben neu sortieren wollte/musste. wie oft hab ich hier erwähnt, dass ich Nähe brauche? ein Gegenüber. auf twitter habe ich das gefühlt täglich erwähnt. es gab ein paar Treffen. die waren für sich genommen auch schön. aber die Konsequenz daraus war nicht, dass ich mehr Freund*innen habe, sondern dass ich mehr Leuten, die ich persönlich getroffen habe, bei ihrem Sozialstress zusehen konnte. bei ihren Freiheiten und Möglichkeiten.
Heidewitzka, das ist ganz schön viel für eine frische Single-Mom mit Existenzangst im Nacken und akuter Einsamkeitsphobie.
ja, ich wurde wirtschaftlich aufgefangen von diesem Sozialen Netzwerk. das war meine Rettung. mehrfach. vor allem war es eine unbürokratische und direkte Rettung. auch eine Nachricht an mich.
wenn Geld nur auch umarmen könnte…bin ich eigentlich undankbar, wenn ich das denke?
die Abkehr von twitter bedeutet für mich, dass ich weniger auf das Handy gucke. sie bedeutet, dass meine Gedanken kein unmittelbares Ventil mehr haben. dass ich keine Hashtags mehr nachlese. dass ich nicht mitbekomme, was gerade der Aufreger des Tages ist und dass wieder irgendwelche Hater einen weiblich gelesenen Account verfolgen. ich bekomme nicht mehr mit, wieviele Anschläge auf der Welt wirklich passieren und dass sich ein Politiker wieder aus dem Fenster gelehnt hat. ich bekomme nicht mit, was in Krisengebieten passiert und was irgendein Ex schon wieder (nicht) gemacht hat.
ich verzichte damit auf die verführerische Nähe zu Menschen, mit denen ich gern Nachrichten ausgetauscht habe. es gab viele, die ich mochte. aber es schafft auch Klarheit. entweder wir sind echt und unsere Nähe ist echt und die Konsequenz daraus ist sowas wie ein gegenseitiges Wollen. oder wir sind Arbeitskolleg*innen im selben Medium und könnten das bleiben, bis ein Vertrag ausläuft.
nein, es ist kein Experiment und ich erwarte eigentlich nicht, dass mir jemand folgt oder das Medium durch die Realität ersetzt. wobei es zumindest einen Menschen zu geben scheint, der das eventuell vorhat (Küsschen!). ich erwarte es nicht. und es muss auch nicht sein. ich habe mich entschieden. ich für mich. nicht, um hier mehr Zeit zu haben, sondern um meine Gefühle nicht überzustrapazieren. wenn ich mich mit Dating beschäftige, habe ich genügend platzende Hoffnungen im Jahr. die zusätzliche Hoffnung auf Freundschaft, die ständig platzt, ist dann echt ein bißchen viel.
und falls mich jemand für naiv hält, wenn ich den Menschen in meinen Social Media Kanälen alles glaube und die Nähe für real annehme und auf Begegnung hoffe:
wie abgebrüht wäre ich, würde ich nicht glaube, was die Menschen mir hier wie dort sagen? wie abgebrüht wäre ich, wenn ich nicht darauf hoffe, Nähe zu finden? und wer ist nicht auch auf Twitter, weil er sich zuhause allein fühlt? na?
viertel vor 6.
Zeit für das erste Licht. Zeit für die Müsli-Vorbereitung. neben den Müslischalen stehen kleine gelbe Rosen in Mini-Milchflaschen. von mir aus im Vorbeigehen ausgesucht. aber für mich. einfach so. von einem Menschen, der auch gerade Nähe sucht. vielleicht auch was über Nähe hinaus. kann sein. wir werden sehen. wir treffen uns sicher wieder und wir werden ausgehen. verliebt bin ich nicht bisher. ich bin zu vorsichtig. aber ich lache mich schief. und das ist gemessen an meinen sozialen Kontakten dieses Jahr genau richtig so.
bald ist Weihnachten. mein homerun. die Heizung brummt. es ist gut so.
Liefs,
Minusch
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